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TEST: Gran Turismo 6 – Besseres Update oder konsequente Weiterentwicklung?

play3 Review: TEST: Gran Turismo 6 – Besseres Update oder konsequente Weiterentwicklung?

7.0

„Gran Turismo“ und Playstation gehören seit 1997 zusammen. Die Rennspielserie prägte das Bild von Sonys Konsole und war für viele der Grund, sich überhaupt erst eine Playstation ins Haus zu holen. Doch „Gran Turismo“ schwächelte auf der Playstation 3. Der fünfte Teil krankte an einem unfertigen Online-Modus und vielen kleinen Problemstellen, die in den Monaten nach Release erst langsam per Patch behoben wurden.

Umso überraschender, dass Entwickler Polyphony Digital „Gran Turismo 6“ für die Playstation 3 veröffentlichen, anstatt gleich die frische Hardware der PS4 in Angriff zu nehmen.

Was wir cool finden

Starke Fahrphysik
Mein erster Ratschlag: Geht in die Optionen und stellt alle Hilfen aus. Denn nur so kommt ihr wirklich in den Genuss des vollen Fahrvergnügens. Die Physik hinter „Gran Turismo 6“ ist erstklassig und begeistert besonders, wenn ihr mit Lenkrad statt Gamepad spielt.

Beim Einfahren in eine Kurve neigen sich die Autos spürbar zur Seite. Beim Anbremsen nicken sie noch vorne, beim Gas geben wippt der Wagen leicht hoch. Geht ihr Kurven zu schnell an, quietschen die Reifen. Verliert ihr in S-Biegen plötzlich die Kontrolle über den Wagen, gerät die Karre erst ins Schleudern ehe sie komplett ausbricht. „Gran Turismo 6“ spielt sich wirklich klasse, auch wenn die Karriere nur langsam in Fahrt kommt.

Das Abarbeiten der ersten Lizenzen mit einem alten Honda ist nicht gerade das, was ich von einem Rennspiel erwarte. Aber es ist eben auch typisch „Gran Turismo“.

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Riesiger Umfang
Mit „Gran Turismo 6“ seid ihr für die Weihnachtstage erst einmal gut beschäftigt. Neben dem Arcade-Modus gibt es für Solo-Spieler hier die Karriere, die zunächst mit ihren neuen aufgeräumten Menüs auffällt. Hier absolviert ihr linear eine Meisterschaft nach der anderen, sammelt Sterne, sichert euch Lizenzen und schaltet so neue Events frei. Zugegeben, der Mangel an Freiheit ist ein wenig ungewöhnlich, motiviert aber in „Gran Turismo“ dennoch zum Weiterspielen. Schließlich erhaltet ihr für jedes Rennen nicht nur Sterne, sondern auch Credits. Und diese braucht ihr, um neue Wagen und Tuning-Teile zu kaufen.

So langsam „Gran Turismo“ auch startet, so ist der eigene Spielfortschritt doch jederzeit spürbar. Nach jedem Karriererennen steigt der eigene Kontostand und damit erwächst auch die Überlegung, was man mit dem neuen Reichtum machen könnte. Der Fuhrpark ist mit über 1.200 Fahrzeugen umfangreich wie nie zuvor, auch wenn die beeindruckende Zahl eher ein guter PR-Gag ist. Gerade die Autohersteller aus Asien sind mit vielen ähnlichen Modellen vertreten, die sich kaum voneinander unterscheiden. Das ändert aber nichts daran, dass ihr in „Gran Turismo 6“ mehr als genug Auswahl haben werdet. Vom kleinen Fiat Punto bis hin zum aufgebohrten Ferrari. Für zusätzliche Abwechslung sorgen zudem die Missionen, in denen ihr untypische Aufgaben bewältigt und etwa Kegel umfahrt oder die inzwischen berühmte Mond-Expedition bewältigt.

Die Tuning-Optionen gehen Hand in Hand mit dem fantastischen Physikmodell. Da wäre zunächst die Wahl der richtigen Reifen. Abhängig von euren Schluppen – etwa Standard-, Sport- oder Rennreifen – und ihrer Mischung variiert das Fahrverhalten merklich, auch wenn gerade Faktoren wie Reifenverschleiß und Benzinverbrauch erst in Ausdauerrennen oder im Online-Modus eine Rolle spielen. Trotzdem verändert die Wahl der Pneus das Fahrverhalten deutlich. Aber auch abseits der Reifen dürft ihr wieder fleißig an euren Boliden herumschrauben: Getriebe, Antriebswellen, Aufhängung, Lachgas-Einspritzung, Motorleistung und das Gewicht des eigenen Fahrzeugs sind nur einige Faktoren, die ihr zumeist in mehreren Varianten verändern dürft. Es mag profan klingen, aber hier können sich Bastler wirklich reinhängen und an den Feinheiten für ein perfektes Setup arbeiten. Tuning ist essentieller Bestandteil des Spiels und trotz steriler Aufmachung ein gewaltiger Motivationsfaktor. Nette Gags am Rande wie etwa ein Ölwechsel sind da noch das Tüpfelchen auf dem I und bringen Autofanatiker vollends in Verzückung.

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Ein Grafik-Höhepunkt für die PS3
Ein dickes Lob verdient sich Polyphony Digital für die grafische Umsetzung. „Gran Turismo 6“ läuft in Full HD und – trotz kleinerer Schönheitsfehler wie Tearing und seltenen Rucklern – schnurrt das Spiel über weite Strecken butterweich über den Bildschirm und erzeugt ein tolles Geschwindigkeitsgefühl. Die 37 Strecken begeistern mit ihrem Detailreichtum und garantieren dank verschiedener Layouts auch für Abwechslung. Ganz egal, ob ihr auf real existierenden Kursen wie Suzuka, dem Nürburgring, Silverstone oder Brands Hatch, auf engen wie wunderschönen Stadtkursen wie Rom oder Mailand oder Kreationen wie Trial Mountain oder Deep Forest unterwegs seid, die Strecken sind allesamt ausgezeichnet spielbar und sehen einfach klasse aus.

Auf ausgewählten Kursen gibt es auch noch Tages- und Nachtwechsel sowie dynamische Wettereffekte. Diese Einflüsse verändern das Fahrgefühl erneut deutlich. Seid ihr auf regennasser Fahrbahn mit den falschen Reifen unterwegs, schlittert ihr wie auf Seife über den Asphalt. Bei Dunkelheit wiederum werden unbekannte Kurse zur Herausforderung. Allerdings ist es erneut schade, dass diese Modifikationen nicht auf allen Strecken aktiv sind und dass sie in vielen der kurzen Rennen der Karriere einfach keine Rolle spielen.

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Gelungener (und vor allem funktionierender) Online-Modus
Lustigerweise fallen viele Kritikpunkte an der Singleplayer-Karriere im Online-Betrieb flach. So gibt es hier ein vollständiges Schadensmodell und auch einstellbaren Reifen- und Benzinverbrauch. Wieso das nur hier gelingt, ist ein Geheimnis von Polyphony Digital.

Im Gegensatz zum Vorgänger hat der Entwickler ganz offensichtlich aus den Fehlern des fünften Teils gelernt. So genießt ihr nun viele Freiheiten beim Erstellen einer eigenen Rennrunde: Fahrhilfen, Auswirkungen von Windschatten und die Auswahl, ob privates oder öffentliches Spiel sind nur einige der möglichen Optionen. Bis zu 16 Piloten gehen hier gleichzeitig an den Start. Die Testrennen verliefen über weite Strecken ruckelfrei, Abbrüche gab es selten. Zudem könnt ihr eigene Communitys und damit Rennveranstaltungen für eure Freunde erstellen. Weiterhin versprach Polyphony Digital in den kommenden Monaten Saison-Veranstaltungen und weitere Events zu bringen.

Einziger Haken: Selbst „GT5“-Profis müssen sich in der Karriere zunächst die nationale A-Lizenz sichern, ehe sie online mitmischen dürfen. Ein Profil-Import oder dergleichen gibt es nicht.

Was wir weniger cool finden

Technische Defizite
„Gran Turismo 6“ zeigt sich auf der Strecke von seiner besten Seite. Aber die Präsentation bleibt trotz neuer, aufgeräumter Menüstruktur altbacken wie vor 15 Jahren. Wo ein Spiel wie „Forza Motorsport 5“ mit jedem Bit und jedem Byte die Liebe zum Automobil zelebriert, da wirkt „Gran Turismo 6“ wie eine Tabellenkalkulation. Statt Sprachausgabe gibt es lediglich eingeblendete Bildschirmtexte. Zwischen den Rennen klicke ich mich nur durch einige Menüs. Mir fehlt es hier einfach an Gefühl, an dem gerade bei einem solchen Spiel notwendigen Pomp. „Gran Turismo 6“ wirkt klinisch steril und unpersönlich. Das kostet viel Stimmung und macht gerade den Einstieg in das Spiel sehr schwierig.

Dazu stören mich die extrem langen Ladezeiten. Gerade in den Missionen der Kampagne bin ich oftmals nur 30 oder weniger Sekunden auf der Strecke und muss ebenso lange darauf warten, ehe ich endlich fahren darf. Ein Luxusproblem: In den einzelnen Pokalen ist es nach gewonnenem Rennen nicht direkt möglich, das nächste Rennen zu starten. Stattdessen muss ich den umständlichen Weg über das Hauptmenü gehen und noch einmal zusätzliche Wartezeiten in Kauf nehmen.

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Der Griff zur Kreditkarte!
Was haben wir alle gelacht, als die Nachricht über Mikrotransaktionen in „Forza Motorsport 5“ die Runde machte. Und jetzt erwischt es uns auch in „Gran Turismo 6“. Bevor jetzt alle schreien und motzen: Die Kaufoptionen stehen nicht im Vordergrund. Selbst wenn ihr nicht genügend Credits für einen Wagen habt, weist euch das Spiel nur darauf hin, aber führt euch nicht direkt in den Shop. Außerdem bringt es auch herzlich wenig, sich gleich zu Beginn des Spiels ein Geschoss zuzulegen. Ihr werdet es in den kleineren Klassen noch nicht fahren können.

Trotzdem sind die Preise für spezielle Fahrzeuge absolut übertrieben. Umgerechnet 150 Euro für einen Jaguar XJ 13 sind vollkommen aus der Proportion geblasen. Hier sollten sich alle Entwickler einmal an die eigene Nase fassen und sich überlegen, ob solche Preise wirklich für ein Videospiel angemessen sind. Einen faden Beigeschmack hinterlässt das Mikrotransaktionssystem also dennoch.

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Zweiklassengesellschaft auf vier Rädern
Wir kennen die Unterscheidung zwischen Standard- und Premiumfahrzeugen bereits aus „Gran Turismo 5“. Die für den sechsten Teil versprochene Besserung trat leider nicht ein. Stattdessen ärgere ich mich bei 700 der 1200 Fahrzeugmodell über detailarme Chassis und die gewohnt hässlichen Cockpits. Diese sind kein Vergleich zu den Original-Armaturen. Oftmals handelt es sich lediglich um das schwarze Innere eines Wagens mit kaum Details und einem Minimalmaß an Anzeigen.

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Und es hat „Boing“ gemacht!
Im Solo-Modus gibt es kein Schadensmodell! Wenn ich meinem Kontrahenten mit voller Wucht in den Kofferraum fahre, sind einige Dreckspuren das Höchste der Gefühle. Keine Beulen und vor allem keinerlei Einfluss auf das Fahrverhalten. „Gran Turismo“ schimpft sich den „Real Driving Simulator“ und vernachlässigt einen derart wichtigen Aspekt des Rennsports. Denn das fehlende Schadensmodell beeinflusst meinen Fahrstil.

Bin ich nicht gerade in den Prüfungen unterwegs, darf ich rempeln und schubsen wie ich möchte. Bei Überholmanövern benutze ich die Konkurrenz als Stopper und darf ungestraft fahren wie beim Autoskooter. Schließlich ist die einzige Konsequenz, die ich hier zu befürchten habe, der absolut lächerliche „Biong“-Sound beim Aufprall auf meinen Mitfahrer. Sorry „Gran Turismo“, aber im Jahr 2013 kommt mir eine Rennsimulation ohne Schadensmodell nicht ohne Punktabzug davon.

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Miserables Gegnerverhalten
Gleiches gilt für das Fahrverhalten meiner Solo-Mitkonkurrenten. Die übrigen Wagen fahren wie an der Schnur gezogen auf der Ideallinie. In hunderten von Rennen habe ich kaum echte Fahrfehler der Computer-Raser miterlebt. Ein kurzer Ausritt ins Kiesbett war das höchste der Gefühle. Noch schlimmer: Die Rennen verlaufen nahezu identisch. Die beiden Führenden setzen sich kurz nach dem Start ab (warum muss ich eigentlich immer als Letzter starten?). Spätestens in der letzten Runde werden diese aber auf magische Weise langsamer und ermöglichen es mir so, aufzuholen und – sofern ich mich nicht doof anstelle – den Sieg einzufahren.

Dazu ist die Regelauslegung in den Prüfungen absolut problematisch. Ich akzeptiere, dass ich nicht von der Strecke abkommen und meinen Gegner nicht rammen darf. Dass mich der Computer-Raser aber von der Ideallinie und aus der Kurve ins Kiesbett schießt, ist eine Frechheit. Die Krönung: Ich werde disqualifiziert, weil ich die Strecke verlassen habe.

„Gran Turismo 6“ misst mit zweierlei Maß und dreht sich die Regeln so zurecht, wie es ihm passt. Wenn man hier scheitert, dann höchstens am eigenen Übermut oder eigenen Fehlern. Die Computer-KI jedenfalls ist eine Katastrophe und weit entfernt, mich in irgendeiner Form zu motivieren oder zu fordern.

Über den Autor:Olaf ist bereits seit dem Jahr 2000 als freier Redakteur im Bereich der Video- und Computerspiele tätig. So schrieb er u.a. von 2005 bis 2007 für die Printmagazine „play THE PLAYSTATION“ und die Schwestermagazin „Playstation – Das offizielle Magazin“ und „Games Aktuell“. Heute arbeitet er u.a. für „COMPUTER BILD Spiele“ und „www.spieletipps.de“ oder schreibt Specials und Tests für „playBlu“ von Computec oder „PS3M“ vom Airmotion Verlag.

System: PlayStation 3
Vertrieb: Sony
Entwickler: Polyphony Digital
Releasedatum: erhältlich
USK: ohne Altersbeschränkung
Offizielle Homepage:http://www.gran-turismo.com/

7.0

Wertung und Fazit

TEST: Gran Turismo 6 – Besseres Update oder konsequente Weiterentwicklung?

Das einstmals so glanzvolle und revolutionäre „Gran Turismo“ versinkt in der Mittelmäßigkeit. Polyphony Digital leistet sich ungeheuer viele Fehler und ignoriert viele Fortschritte, die das Rennspielgenre in den vergangenen Jahren gemacht hat. Allein Aspekte wie die staubtrockene Präsentation, das fehlende Schadensmodell und die miserable Computer-KI sind für mich Ausschlusskriterien. Die unnatürlich agierenden Gegner nerven mich ungemein, das Abarbeiten von Aufgaben ist ein Graus und erinnert an das „Grinden“ aus Online-Games. Dazu noch der fade Beigeschmack der Mikrotransaktionen. Hier läuft wirklich einiges schief! ABER: „Gran Turismo 6“ ist auf der Strecke weiterhin eine Wucht. Das Fahrverhalten ist – sofern ihr alle Hilfen abschaltet – wirklich ungemein gut gelungen. Man spürt jede Gewichtsverlagerung, jede Veränderung, jeden Fehler. Gerade wenn ihr mit einem Lenkrad steuert, ist Gran Turismo 6“ das vermutlich aktuell beste Rennspiel. Zumindest so lange ihr alleine auf der Strecke seid. Außerdem leistet Polyphony Digital im Technik-Sektor wirklich einiges. „Gran Turismo 6“ sieht wirklich ausgezeichnet aus und das auf Full HD. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass Polyhpony Digital in den nächsten Jahren jede Menge Arbeit hat. „Gran Turismo“ tritt auf der Stelle und braucht eine große Inspektion. Denn in diesem Spiel liegen Totalschaden und Pole Position in zu vielen Punkt zu dicht beieinander.

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DieWahrheit

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09. Februar 2014 um 02:12 Uhr