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PS4-TEST: Assassin's Creed Syndicate

play3 Review: PS4-TEST: Assassin’s Creed Syndicate

8

Am Beispiel von „Assassin’s Creed Unity“ konnte die Gaming-Welt im November letzten Jahres sehr genau beobachten was alles passiert, wenn ein namhafter Publisher einen lang herbeigesehnten Titel in einem fehlerhaften Zustand ausliefert. Die Folgen waren dramatisch und reichten von hunderten Glitch-Videos auf Youtube, über zehntausende Beiträge aufgebrachter Nutzer bis hin zu einer kostspieligen Wiedergutmachung seitens Ubisoft in Form eines kostenfreien Season Pass’ für alle.

Mit „Syndicate“ möchten die Franzosen all das nun vergessen machen und den Karren endgültig aus dem Image-Morast ziehen. Wichtigste Maßnahmen hierfür: Mehrspieler-Modus und Companion-App fliegen komplett raus, sodass mehr Kapazitäten frei werden, ein möglichst rundes Solo-Abenteuer zu erzählen. Play3.de stürzte sich mehrere Tage lang ins viktorianische London, um herauszufinden, ob genau das funktioniert hat.

Was wir cool finden

Assassins Creed Syndicate - PS4 Screenshot 01

Bruderherz und Schwesterherz
„Syndicate“ erzählt die Geschichte der Assassinen-Zwillinge Jacob und Evie Frye. Angewidert von den katastrophalen Arbeitsbedingungen und der immer weiter auseinander klaffenden Schere zwischen Arm und Reich, beschließen die beiden im Jahr 1868 das Schicksal von Englands Hauptstadt in neue Bahnen zu lenken. Jacobs Plan: Eine Straßen-Gang namens Die Rooks gründen und die Themsemetropole mit deren Hilfe Stück für Stück aus der Hand ihrer Unterdrücker befreien. Und Evie? Die befürwortet die Idee zwar grundlegend, hat jedoch insbesondere die im Hintergrund intrigierenden Templer und einen sogenannten Edensplitter im Sinn.

Der eine kämpft, der andere schleicht
Aufs Gameplay übertragen ergeben diese Grundzutaten zahlreiche interessante Spielmechaniken. Allen voran die Möglichkeit im Optionsmenü zwischen den unterschiedlich befähigten Helden wählen zu dürfen. Jacob ist der Haudegen des Duos und teilt in Nahkämpfen ordentlich aus – kann aber auch kräftig einstecken. Entsprechende Fähigkeiten-Upgrades befähigen ihn außerdem dazu, Feinde schneller in eine Art Am-Randes-des-Todes-Zustand zu versetzen – nicht nur in turbulenten Gang-Wars ein wichtiger Vorteil.

Evie hingegen verkörpert die Schleichspezialistin, kann doppelt so viele Wurfmesser wie ihr Bruder mitführen und mit der später erlernbaren Chamäleon-Fähigkeit nahezu gänzlich aus dem Sichtfeld ihrer Widersacher verschwinden. Schön: Beide Helden teilen sich zwar Geld, Ressourcen und Erfahrungspunkte, das Aufleveln und Ausrüsten geschieht jedoch individuell. Ihr könnt euch also zwei Spezialisten zusammenschustern und je nach Situation einsetzen. Doch Obacht: Einige Hauptmission lassen sich entweder nur mit Jacob oder nur mit Evie in Angriff nehmen, was die Flexibilität des Konzepts etwas einengt.

Assassins Creed Syndicate - PS4 Screenshot 05

Die Rooks, dein Freund und Helfer
Die zweite wichtige Änderung im Vergleich zum letztjährigen „Unity“ betrifft die Interaktion mit Verbündeten, in diesem Fall der Rooks-Gangs. Mit jedem befreiten Stadtviertel schließen sich immer mehr tatkräftige Männer und Frauen eurer Sache an. Und tatkräftig ist dabei wörtlich zu nehmen: Sehen Rooks-Anhänger wie ein Scharmützel zwischen euch und den Templer-angeführten Blighters entbrennt, dauert es meist nicht lange, bis euch eure Landsleute tatkräftig zur Seite stehen. Gang-Mitglieder können sogar aktiv rekrutiert werden, woraufhin sie euch durch die Spielwelt folgen und in Auseinandersetzungen aktiv mitmischen.

Nicht minder spannend: Im Laufe des Spiels levelt ihr nicht nur die beiden Protagonisten auf, sondern obendrein die Fähigkeiten eurer Gang. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass eure Jungs die Polizei bestechen und die im Gegenzug nicht so genau hinschaut, wenn Jacob und Evie mal wieder klauen, meucheln, Droschken entführen usw. Andere „Upgrades“ sabotieren die Kutschen der Blighters, ermöglichen euren Leuten den Umgang mit Feuerwaffen oder lassen die Schwarzmarktpreise von Munition sinken. Richtig viel Geld spart auch „Little Rooks“, denn nun stibitzen die von euch befreiten Straßenkids wie die Weltmeister und suchen die Umgebung auf Wunsch nach Crafting-Ressourcen ab. Was bleibt sind viele schöne Ideen, die der Entwickler unterm Strich jedoch durchaus noch hätte weiterspinnen können.

Assassins Creed Syndicate - PS4 Screenshot 02

Gut gepfiffen ist halb gewonnen
Wirft man einen genaueren Blick auf die Stealth- und Fortbewegungs-Mechaniken, fallen ebenfalls zahlreiche sinnvolle Veränderungen auf. Da wäre zum Beispiel der transparente Ring um die aktive Spielfigur. Er zeigt an, ob Jacob oder Evie Aufmerksamkeit erregen. Gleichzeitig signalisiert er sehr deutlich, von wo sich Feinde nähern, was speziell bei ungünstig positionierter Kamera von Nutzen ist. Und: Genau wie in „Black Flag“ dürft ihr Gegner endlich wieder mittels Pfeifen anlocken – nicht nur für Heuhaufen-Meuchler ein Heidenspaß!

Grand Theft Kutsche
Weiter geht’s mit den überall in der Spielwelt präsenten Kutschen. In „Unity“ hat man ja bereits einige erspähen können. Hier sind sie nun nicht mehr nur optische Zierde, sondern aktiv benutzbar. Egal ob 1- oder 2-achsig, offen oder geschlossen, mehrstöckig oder in der faszinierenden Feuerwehr-Variante – genau wie bei GTA und Konsorten dürft ihr euch alle auf den Straßen fahrenden Untersätze (mit Pferd davor!) unter den Nagel reißen und selber steuern. Das klappt nach kurzer Eingewöhnung tadellos und sorgt vor allem dann für wohlige Nervenkitzel, wenn euch aggressives Feindpack mit anderen Kutschen in die Zange nimmt. Mitunter springen Gegner sogar aufs Dach eures Gefährts und verwickeln euch in waghalsige Nahkämpfe – herrlich!

Assassins Creed Syndicate - PS4 Screenshot 09

Mit freundlichen Grüßen von der Fledermaus
Bliebe noch der Seilwerfer, das wohl coolste Gadget in „Syndicate“. Ähnlich wie in „Batman“ könnt ihr euch damit in Sekundenschnelle an Gebäuden hochziehen oder Seilrutschen zwischen zwei Punkten in der Spielwelt spannen. Tritt letztgenannter Fall ein, ist es zudem möglich, sich punktgenau über einem Ziel am Boden zu positionieren und dann aus der Luft kommend zum Todesstoß anzusetzen. Reißen kann das Seil übrigens nicht, was die gesamte Mechanik sehr einsteigerfreundlich gestaltet und obendrein zeitraubendes Aussichtspunkt-Erklimmen zum Kinderspiel macht.

London calling
Dass „Syndicate“ über weite Strecken zu unterhalten weiß, liegt nicht zuletzt an der Spielwelt selbst und den darin vorkommenden Persönlichkeiten. Genau wie Ubisoft Montreal in „Unity“ hat sich auch Ubisoft Quebec redlich Mühe gegeben, den neuen Schauplatz mit Leben zu füllen. Kinder spielen Fußball, Wochenmarkt-Händler salzen Fisch, Frauen tuscheln, Tagelöhner schaufeln Kohle in Frachtkähne, Hafenpersonal rollt Fässer, Schichtarbeiter machen Brotzeit, Muskelprotze kloppen sich in Fightclubs die Birne weich und und und – hier sprudelt das Leben wirklich an jeder Ecke.

Bei der Stadtkulisse können die Kanadier ebenfalls punkten. Das Gebotene reicht von pechschwarz rauchenden Fabrikschornsteinen, über voll animierte Lastenkräne bis hin zu famos rekonstruierten Sehenswürdigkeiten wie Victoria Station, Big Ben, Buckingham Palace oder St. Paul’s Kathedrale – allesamt natürlich komplett erklimm- und oft auch begehbar.

Assassins Creed Syndiacte - PS4 Screenshot 04

Charakterköpfe, die im Kopf bleiben
In besonders lebhafter Erinnerung bleiben uns gleichwohl die Begegnungen mit historischen Figuren wie Erfinder Alexander Graham Bell, Gesellschaftstheoretiker Karl Marx, Naturforscher Charles Darwin oder Schriftsteller Charles Dickens. Speziell letztgenannter sorgt für einige wirklich amüsante Nebenaufträge, bei denen ihr euch unter anderem auf Geisterjagd begebt oder die Töle der Frau des Premierministers zurückbeschafft.

Last but not least ein paar lobende Worte zur Technik. Die präsentiert sich im Vergleich zu „Unity“ nicht ganz so opulent, ist dafür aber nahezu frei von fiesen Bugs und liefert in praktisch allen Lebenslagen eine gute Bildrate. Ruft man sich nun noch in Erinnerung, dass die Spielwelt noch mal knapp 30% größer ausfällt als in „Unity“, kann man durchaus von einer respektablen Leistung sprechen.

Was wir weniger cool finden

Aus Gameplay-Perspektive betrachtet drückt der Schuh gleich in mehrfacher Hinsicht. Eines der Hauptprobleme: Letztlich spielen sich beide Helden trotz unterschiedlichem Fokus auf Kampf (Jacob) und Schleichen (Evie) zu ähnlich. Die Gründe dafür werden vor allem bei einem genaueren Blick auf ihre Talentbäume deutlich. Von über 30 Skills pro Spielfigur sind gerade einmal drei exklusiv für den jeweiligen Charakter. Schade, denn hier verspielt der Entwickler viel Potenzial. Zugegeben, in den ersten Spielstunden fällt dieses Manko kaum auf, gegen Spielende merkt man es jedoch umso deutlicher.

Assassins Creed Syndicate - PS4 Screenshot 03

Aufgaben-Recycling
Schelte muss sich Ubisoft Quebec zudem für das streckenweise sehr repetitive Missionsdesign von Open-World-Aktivitäten gefallen lassen, die im Zusammenhang mit der Rückeroberung der Stadtteile stehen. Kinder aus Fabriken retten, Gang-Hauptquartiere säubern und dergleichen macht die ersten fünf bis sechs Mal Laune, dann allerdings wünschen sich langjährige Serienkenner mehr Raffinesse und Abwechslung. Das gilt im Übrigen auch für die finale Konfrontation innerhalb der Story, die zweifelsohne in keine Best-of-Liste eingehen wird. Ganz zu schweigen vom gewohnt monotonen Kistensammeln. Die gute Nachricht hierbei: Da man die Companion-App in der Themse versenkt hat, können wenigstens alle Spieler alle Kisten öffnen.

Taube Nuß steht Schmiere
Dazu gesellen sich seltsame KI-Schnitzer, welche die Serie schon längere Zeit plagen. Beispielsweise kommt es immer wieder vor, dass gerade erdolchte Wachen lauthals röcheln, der Wachposten zwei Meter daneben davon jedoch nichts mitbekommt. Andere Schergen hingegen scheint es nicht die Bohne zu stören, wenn unweit entfernt ein Kollege von herabfallenden Fässern erschlagen wird. Im Gegenteil: Sie verweilen seelenruhig an ihrer Position und tun so, als ob nichts gewesen wäre.

Und wo wir gerade beim Thema Wachen sind: Warum hat Ubisoft noch immer keine Mittel und Wege gefunden, das Phänomen Klongegner aus der Welt zu schaffen? Spätestens wenn man den 500sten Standard-Blighter-Bösewicht auf dem Gewissen hat, hängen einem die fünf bis zehn immer gleichen Gegnertypen im wahrsten Sinne des Wortes zum Hals raus.

Assassins Creed Syndicate - PS4 Screenshot 06

Harmlose Clipping-Fehler
Obwohl „Syndicate“ deutlich stabiler und fehlerfreier daherkommt als das letztjährige „Unity“, greifen technisch immer noch nicht alle Zahnräder optimal ineinander. Wer sich durch dicht bevölkerte Bereiche bewegt wird zum Beispiel immer wieder seltsame Clipping-Fehler feststellen – etwa Hafenarbeiter, die Fässer zuweilen direkt durch euren Assassinen hindurchrollen. Auch erspähten wir ab und an getötete Feinde, die direkt nach ihrem Ableben schlichtweg verschwanden.

Punktabzug gibt’s außerdem für die lückenhafte Eindeutschung. Konkreter formuliert: Wer die deutsche Version spielt und mal auf einem Marktplatz oder an einem anderen belebten Ort eine Weile stehenbleibt, muss in der Regel keine 15 Sekunden warten, bis sich englische Sprachausgabe unters Stimmengewirr mischt. Der Grund liegt auf der Hand: Viel Passantengeplapper (was zuweilen wirklich amüsant sein kann) wurde schlichtweg nicht eingedeutscht. Dramatisch oder gar Spiel-entscheidend ist das selbstverständlich nicht, wohl aber drückt es auf die Atmosphäre.

Wenig erfreut werden Fans zudem von der Preisgestaltung der sogenannten Helix-Credits sein, also der virtuellen Währung für Microtransaktionen. Für 9.000 Helix Credits etwa müsst ihr unverschämte 49,99 Euro abdrücken – viel Geld, mit dem ihr euch zum Beispiel genauso gut zwei Gebrauchtspiele kaufen könntet. Da es sich bei den Helix-Credits jedoch um ein rein optionales Feature handelt, hat dieser Umstand letztlich keinen Einfluss auf unsere Gesamtwertung.

8

Wertung und Fazit

PS4-TEST: Assassin’s Creed Syndicate

Mit „Syndicate“ gelingt Ubisoft zwar nicht der nächste große Open-World-Wurf, wohl aber ein Spiel, das das Vertrauen in die Marke nach dem Bug-Desaster 2014 zu großen Teilen wiederherstellt. London als Setting überzeugt, der Gang-Ansatz bringt frischen Wind rein, Dinge wie Seilwerfer und Kutschfahrten fügen sich harmonisch ein, das Vorhandensein von zwei sich ständig stichelnden Helden gefällt, Musik- und Soundkulisse gehen ins Ohr und auch technisch läuft das Uhrwerk – bis auf wenige Aussetzer – endlich wieder rund. Ergänzt man nun noch die sympathischen Charakterköpfe wie Dickens und Co., den gigantischen Umgang, die zahlreichen Lösungswege für wichtige Meuchelmissionen und die klar strukturierte (leider anfangs etwas zähe) Geschichte, bleibt ein „Assassin’s Creed“, das der Mehrzahl der Fans in angenehmer Erinnerung bleiben dürfte. Die Kehrseite der Medaille abseits der im Fließtext skizzierten Macken? Nennenswerte spielerische Innovationen oder den Mut mal komplett über die Stränge zu schlagen, muss ich hier wirklich mit der Lupe suchen. Stattdessen folgt das Entwicklerteam der berühmt-berüchtigten Ubisoft-Formel mit fast schon blinder Perfektion. Das mag die nächsten ein bis zwei Jahre noch gut gehen, dann allerdings könnte für viele endgültig die Luft raus sein. Wen das nicht stört, der wird hiermit viel Freude haben. Ich für meinen Teil würde mir für das nächste Assassin’s Creed (das dann auch ruhig noch bis 2017 warten darf) trotzdem etwas komplett Frisches wünschen. Wie wär’s zum Beispiel mit einem Perspektiv-Wechsel hin zu First-Person? Oder mehr Puzzle- und Entdecker-Elementen und weniger An-die-Hand-nehmen? Auch mehr dialog-orientierte Rollenspiel-Elemente und eine Story mit multiplen Pfaden, die ich tatsächlich beeinflussen kann, würden der Marke sicher spannende neue Impulse verleihen.

Hotlist

Kommentare

Old_Stallone

Old_Stallone

01. November 2015 um 17:27 Uhr
Zockerfreak

Zockerfreak

01. November 2015 um 17:30 Uhr
Zockerfreak

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daywalker2609

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KingOfkings3112

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CrazyZokker360

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HayateGekko

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luciferangel8874

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01. November 2015 um 22:57 Uhr
Celebreties

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01. November 2015 um 23:22 Uhr
skywalker1980

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01. November 2015 um 23:38 Uhr
Old_Stallone

Old_Stallone

02. November 2015 um 11:38 Uhr