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TEST: Beyond

play3 Review: TEST: Beyond: Two Souls – Die Geister, die ich rief …

7.0

Interaktiver Film oder geniales Stück Software? Wenn Quantic Dream ein Spiel auf den Markt bringen, dann herrscht inzwischen ein ähnlicher Hype wie bei Blockbuster-Titeln wie „GTA V“. Denn was Chef-Produzent David Cage anfasst, das wird zumindest anders und neu.

Und genau deshalb ist auch „Beyond: Two Souls“ so heiß erwartet. Aber ob es die Vorschusslorbeeren als Kunst- und Meisterwerk wirklich verdient hat, das wage ich nach rund zehn Stunden mit Jodie und Aiden doch leicht zu bezweifeln.

Was wir cool finden

Eine zerrissene Heldin und ihre Existenz
In „Beyond: Two Souls“ steuert ihr Jodie Holmes. Die von Ellen Page gespielte Protagonistin ist allerdings keine normale junge Frau. Sie besitzt paranormale Fähigkeiten und ist über eine Art Schnur mit dem Geisterwesen Aiden verbunden. Die Geschichte von „Beyond“ ist unterteilt in 26 Kapitel, die Jodie zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens zeigen.

Ihr erlebt Jodie als kleines Mädchen. Ihre Schwierigkeiten, als normales Kind zu leben. Ihre Probleme mit ihren Adoptiveltern. Ihr seht auch, wie sie in die Obhut von Dr. Nathan Dawkins – gespielt von Willem Dafoe – und Cole Freeman gegeben wird. Ihr erlebt sie als bockigen Teenager, der den Laboren entkommen und endlich ein eigenes Leben haben will. Und schließlich als CIA-Agentin in der Ausbildung, in Somalia und später in anderen Einsatzgebieten.

Während der rund acht bis zehn Stunden Spielzeit macht Jodie aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Ist sie anfangs noch ein scheues kleines Mädchen, das geradezu stoisch und kalt in die Welt hinausblickt, verändert sie sich mit den Jahren zu einer starken und gleichermaßen eigenwilligen Frau. Dabei lässt sie ihren Emotionen freien Lauf. Ellen Page weint, schimpft und schreit, was die Lungenflügel hergeben.

Trotzdem macht diese Emotionalität und die immer wieder auftretenden Rückschläge Jodie zu einer sympathischen Heldin wider Willen. Ihr Verbundenheit mit Aiden ist Segen und Fluch zugleich. Auf der einen Seite ist Aiden ihr ständiger Begleiter, er schützt sie und ist da, wenn sie alleine ist. Auf der anderen Seite ist Aiden aber auch egoistisch, wütend und rachsüchtig. Warum die Existenz so reagiert, stellt sich erst im Spielverlauf heraus und wird wirklich erst in den letzten Minuten des Spiels aufgeschlüsselt.

Die übrigen Charaktere spielen zwar nur Nebenrollen, aber gerade Willem Dafoe kommt als Jodies Ziehvater eine ganz besondere Position zu. Er hegt ehrliche, väterliche Liebe für das Mädchen und muss den Spagat zwischen Regierungspflichten und seinen Gefühlen finden. Dazu trägt auch er ein finsteres Geheimnis mit sich herum, welches ebenfalls lange nur angedeutet und zum Schluss aufgelöst wird. „Beyond: Two Souls“ gelingt es jedenfalls, den Spieler emotional an die Helden und ihre Mitstreiter zu binden. Ich persönlich empfand dieses Band als nicht ganz so stark wie beispielsweise bei „Heavy Rain“ oder auch „The Walking Dead“, aber immer noch als fest genug, um mich zum Weiterspielen zu animieren.

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Technisches Meisterwerk
Ein Grund für die tolle Stimmung und die hohe Emotionalität von „Beyond: Two Souls“ ist auch die technische Umsetzung. Denn nicht nie (!) wurden Schauspieler derart realistisch in einem Videospiel digitalisiert. Kleinste Emotionen wie eine einzelne Träne oder ein kurzes Zucken der Mundwinkel sind hier erkennbar. Gerade die Nahaufnahmen wirken daher ungeheuer natürlich und werden in den unzähligen Filmsequenzen von „Beyond: Two Souls“ auch immer wieder als Stilmittel eingesetzt. Die Entwicklung von Jodie über die Jahre ist verblüffend, denn ich bekomme hier wirklich den Eindruck, einem Kind beim Heranwachsen zuzuschauen.

Dabei sind kleinste Veränderungen – nicht nur bei Jodie, sondern auch bei Nathan – erkennbar. Ganz egal, ob es zusätzliche Falten, Sommersprossen oder graue Haare sind. Auch die Inszenierung und Präsentation der Actionsequenzen ist absolut brillant und erinnert mehr an einen Kinofilm als an ein Videospiel. Bei der Flucht vor der CIA beispielsweise fährt die Kamera wild herum und wackelt. In Kämpfen mit somalischen Wachleuten dagegen zeigt „Beyond“ das Geschehen meist von der Seite. Wann immer der Spielverlauf in Zeitlupe wechselt, weicht ihr mit Hilfe von Stick-Bewegungen aus. Abhängig davon, in welche Richtung sich Jodie bewegt, in diese Richtung müsst ihr dann auch den Knüppel bewegen. Die Kämpfe sind ähnlich wuchtig und körperlich dargestellt wie beispielsweise in „The Last of Us“. Jodie leidet, schreit bei Treffern kurz auf oder trägt sogar Schrammen oder Schnittwunden davon. Ähnlich wie „Heavy Rain“ ist aber auch „Beyond: Two Souls“ vergleichsweise leicht. An einen „Game Over“-Screen kann ich mich ehrlich gesagt kaum erinnern.

Ein weiteres großes Lob verdient sich „Beyond: Two Souls“ für seine ausgezeichnete Vertonung. Der Soundtrack aus der Feder von Hollywood-Komponist Hans Zimmer ist eindrucksvoll und unterstreicht das Geschehen ungeheuer atmosphärisch. Die Sprachausgabe auf der anderen Seite ist ebenfalls sehr gelungen. Selbst die deutsche Audio-Ausgabe ist absolut hörenswert und die Übersetzung hat zu keinem Zeitpunkt Bauchschmerzen bei mir verursacht. Wer dennoch lieber Dafoe und Page in der Original-Vertonung hören möchte, kann sein Spiel zu Beginn auch auf „Englisch“ umschalten.

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Emotionale Momente
Ihr merkt es sicherlich schon: „Beyond: Two Souls“ ist – ähnlich wie „The Walking Dead“ – kein Titel, der einen mit spielerischen Mitteln begeistert. Hier dominieren die Geschichte und die Emotionen. Allerdings leistet sich „Beyond“ gerade der Aufbereitung seinen Plots einige Fehler, weshalb gerade die ersten Stunden etwas zäh und nichtssagend daher kommen.

Dafür begeisterte mich das Spiel immer wieder mit seinen tiefen und vor allem ehrlichen Gefühlen. Diese entwickeln sind oftmals erst aus den Situationen und Entscheidungen heraus. Jodie ist während der ersten Hälfte des Spiels auf der Suche nach Identität und Heimat. Nach Menschen, die sie so verstehen, wie sie ist. Und letztlich findet sie diese Geborgenheit und Freundschaft auf der Straße. Nämlich bei einer Gruppe von Obdachlosen. Zerbrochenen Existenzen, die sich ihr Geld zusammen schnorren und trotzdem so etwas wie eine Familie sind. Besonders in dieser Sequenz greift „Beyond“ seine Themen wirklich hervorragend auf und rührt weit mehr, als es beispielsweise bei der Thematik der Kindersoldaten in Somalia gelingt.

„Beyond: Two Souls“ ist ein Spiel, das durch die Geschichte und die dadurch erzeugten Emotionen lebt. Diese werden oftmals noch durch Entscheidungsmöglichkeiten gefördert. Bei dem angesprochenen Kapitel beispielsweise bestimmt ihr, ob ihr mit Aidens Hilfe Geld aus einem Bankautomaten stehlt und seht anschließend, welche Konsequenzen eure getroffene Wahl hat. Nur selten gelingt es „Beyond“ die Folgen derart zügig und rasch aufzubereiten. Aber nichtsdestotrotz sind die Entscheidungsfreiheiten weit mehr als das übliche „Gut oder Böse“ bzw. „Leben oder Tod“. Nicht selten sind es nur kleine Optionen, die später eine große Wirkung haben. Aber auch das motivierte mich zum Weiterspielen. Denn ich wollte stets wissen, was letztlich aus meinen Entscheidungen wird und wie ich Jodies Weg damit verändere.

Was wir weniger cool finden

Spielerisch zu seicht!
So wunderschön und spannend „Beyond: Two Souls“ in seiner Erzählung ist, so ist es spielerisch doch arg anspruchslos. Ähnlich wie „Heavy Rain“ erledigt ihr hier viel Alltagsarbeit: Aus dem Auto aussteigen, Gegenstände aufheben und irgendwo hinbringen. An einer Stelle räumt ihr sogar Jodies Apartment auf und macht etwas zu essen. Diese leisen Momente sind vergleichsweise angenehm, aber zugleich auch arg träge. Nicht selten fühlen sich Kapitel gestreckt und arm an Höhepunkten an.

Dabei ist die Steuerung nicht gut gelungen. Das Spiel setzt auf eine statische Kameraführung und verändert die Steuerung, sobald die Kameraposition wechselt. Dadurch rennt man häufiger etwas unkoordiniert durch die Gänge. Zudem ist Jodie nicht in der Lage, über kleine Hindernisse hinweg zu steigen. Sie bleibt gerade im späteren Spielverlauf an jedem kleinsten Objekt wie einer Stufe oder herum liegenden Körpern hängen. Dann muss ich versuchen, sie irgendwie um das Hindernis herumzuführen.

Die Actionpassagen gefielen mir ebenfalls überhaupt nicht. Während die bereits beschriebenen Kämpfe sich noch dank eines netten Tutorials gut spielen, wirken die Einsätze in Kriegsgebiete inklusive Deckungssystem absolut aufgesetzt und stumpf. Im Prinzip springe ich hier nur stupide von einem Mäuerchen zum nächsten, bis ich wieder mit irgend etwas anderem interagieren kann. Echte Spannung kommt nicht auf, da auch die Computer-Wachen keinerlei Anstalten machen, Jodie zu attackieren.

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Eingeschränkte Existenz
„Beyond: Two Souls“ spielt sich weniger wie „Heavy Rain“, sondern erinnert stärker an die ersten Kapitel von „The Walking Dead“. Sobald ich hier das Gamepad übernehme, suche ich schematisch alle Interaktionspunkte in einer leblosen, wenn auch hübschen Umgebung ab oder warte darauf, dass eine weitere Zwischensequenz startet. Die einzelnen Kapitel sind hier allerdings nicht mehr als Kulissen, in denen ich nur bestimmte Objekte verändern kann.

Gerade Aidens Rolle in „Beyond: Two Souls“ leidet unter dieser mangelhaften Interaktivität mit der Umgebung. Als Geist sollte er ja eigentlich in der Lage sein, alle Gegenstände manipulieren zu können. Stattdessen aber sperrt mich das Spiel in enge Grenzen. Hier mal etwas umwerfen, dort einen Knopf drücken oder gar einen Wachmann erdrosseln. Bis heute verstehe ich nicht, warum ich nur bestimmte Soldaten umbringen bzw. kontrollieren kann, andere aber nicht. Dazu habe ich noch die Möglichkeit, Erinnerungsfragmente aus Gegenständen und Personen zu extrahieren. All das funktioniert in sich ständig wiederholenden Analog-Stick-Mini-Spielchen.

Aufgrund des größeren Umfang entsteht ganz rasch Routine, die dem Spielspaß schadet. Raum absuchen, Interaktionspunkte benutzen und vielleicht noch mit Aiden nach einigen der versteckten Extras suchen. Anfangs ist das Ausloten von Aidens Kräften und deren Konsequenzen spannend, allerdings verliert sich das Spiel in der Mitte auch in zu vielen Alltäglichkeiten und in seiner Feingliedrigkeit. Dadurch fühlen sich Kapitel gestreckt und ideenlos an. Mehr Freiheiten und Möglichkeiten hätten hier wahre Wunder bewirkt.

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Zu viele Zeitsprünge
Wie bereits beschrieben, springt „Beyond: Two Souls“ in seinen Kapiteln munter durch die Zeit. Es folgt also keinem klassischen, chronologischen Aufbau, sondern versucht stattdessen, einzelne Themen wie beispielsweise Jodies Heimatlosigkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Durch die unzähligen Zeitsprünge zwischen den teils nur sehr kurzen Kapiteln fühlt sich „Beyond: Two Souls“ gerade in der ersten Hälfte wie Stückwerk an. Daran ändert auch leider die sympathische Heldin und die Emotionalität der Szenen nichts.

Ich wusste nach der Hälfte des Spiels nicht, was mir „Beyond: Two Souls“ eigentlich vermitteln will. Der Aufbau der Geschichte wirkt in sich zu unruhig und szenenhaft. Sie lässt mich immer wieder mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf zurück. Erst zum Schluss hin führt das Spiel alle Fäden wieder zusammen, erklärt einiges gut, anderes aber auch eher lose. Gerade die letzten fünf Minuten des Spiels will „Beyond“ alles auflösen, ist dabei aber oberflächlich und gehetzt.

Dazu werden die Geschehnisse zwischen den Kapiteln ebenfalls nur oberflächlich erklärt. Beispielsweise ist Jodie plötzlich eine junge Frau mit einer Romanze für CIA-Agent Ryan. Sie wohnt in einem eigenen Apartment, obwohl sie zuvor geradezu hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt worden ist. Dazu machen die beiden Charaktere Smalltalk, obwohl sie sich – laut Plot – bereits seit einigen Jahren kennen müssten. Es sind diese Momente im Spiel, in denen ich aus der Geschichte herausgerissen werde und mich frage, ob ich etwas verpasst habe oder ob „Beyond“ einfach zu viel zwischen den Zeilen erzählt.

System: PlayStation 3
Vertrieb: Sony Computer Entertainment
Entwickler: Quantic Dream
Releasedatum: 09. Oktober 2013
USK: ab 16
Offizielle Homepage: http://playstation.beyond-twosouls.com/

7.0

Wertung und Fazit

TEST: Beyond: Two Souls – Die Geister, die ich rief …

„Beyond: Two Souls“ ist ein Wechselbad der Gefühle. Was habe ich bei einigen Szenen schlucken müssen. Was haben mich gerade die Kapitel aus Jodies Kindheit bewegt. Quantic Dream erzählen phasenweise ein wirklich emotionale Geschichte mit bahnbrechender Technik und wirklich starken Augenblicken. Aber leider ist für mich „Beyond: Two Souls“ nie auf einem Niveau mit „Heavy Rain“ oder gerade eines „The Walking Dead“. Dafür stören mich der sprunghafte Kapitelaufbau und die vielen kleinen Löcher im Plot einfach zu sehr.

Insbesondere „The Walking Dead“ kreiert eine engere Verbindung zu den Hauptfiguren, bringt diese offensichtlicher in Zwickmühlen und spielt besser mit meinen Erwartungen. „Beyond“ dagegen wirkt ein bisschen zu bemüht wirklich alle unangenehmen Themen des Lebens – Tod, Verrat, Einsamkeit, Heimatlosigkeit, Glaube und so weiter – in ein Spiel zu stopfen. Dadurch ist es überfrachtet und lässt viele Fragen offen.

Spielerisch ist es sicherlich auf einem ähnlichen Niveau wie „The Walking Dead“. Auch hier krankt die Spielmechanik an mangelhaften Interaktionsmöglichkeiten und Steuerungsproblemen. Wirklich ärgerlich sind allerdings die fehlenden Optionen mit dem Geister-Charakter Aiden und die leblose Umgebung. Das Absuchen von Interaktionspunkten ist ähnlich mühsam wie die Detektivarbeit in „Heavy Rain“ oder „L.A. Noire“.

„Beyond: Two Souls“ ist ein weiteres sehr interessantes Stück Software, aber bei weitem kein Meilenstein der Spielegeschichte oder Erzählkunst. Trotzdem ist es in Sachen Technik und Emotionalität richtungsweisend und somit für Freunde der etwas anderen Spielerfahrung trotz der offensichtlichen Schwächen spielenswert.

Hotlist

Kommentare

xxA147512Oxx

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08. Oktober 2013 um 23:39 Uhr
attitude2011

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Fl�tentr�ter

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