Spec Ops The Line im PLAY3.DE-Interview: "Es ist nicht so, dass wir dir die Chance geben, die Welt zu retten"

Vor exakt zehn Jahren erschien der in Deutschland produzierte Third-Person-Shooter "Spec Ops: The Line" im Handel. PLAY3.DE durfte mit einem der Macher des Kultspiels anlässlich des großen Jubiläums ein Interview führen.

Spec Ops The Line im PLAY3.DE-Interview: „Es ist nicht so, dass wir dir die Chance geben, die Welt zu retten“
Heute auf den Tag genau erschien "Spec Ops: The Line" unter anderem für die PlayStation 3.

Anlässlich des zehnten Geburtstags von „Spec Ops: The Line“ durften wir mit Timo Ullmann, einem der Co-Founder der Spieleschmiede Yager Development, ein ausführliches Interview zum Game führen. Was er uns über die Herausforderungen während der Entwicklung des Titels, den heutigen Kultstatus des Spiels und der Wichtigkeit erzählte, bei Entscheidungsmöglichkeiten nicht den moralischen Zeigefinger zu erheben, erfahrt ihr in den nachfolgenden Zeilen.

PLAY3: „Spec Ops: The Line“ ist mittlerweile zehn Jahre alt. Wie blickt ihr intern auf das Spiel zurück?

Timo Ullmann: „Spec Ops: The Line“ war sicherlich ein Meilenstein, ein großer und wichtiger für Yager, weil die Veröffentlichung nicht nur das Ende von fünf sehr kreativen und auch anstrengenden Jahren war, sondern auch, weil wir als Firma einen großen Sprung gemacht haben. Als wir „Spec Ops: The Line“ damals designt haben, waren wir, glaube ich, intern 17 Leute und als wir es dann veröffentlicht haben, war Yager, glaube ich, mittlerweile 100 Leute stark.

Und während der Entwicklung haben wir noch andere Transformationen durchlaufen, zum Beispiel sind wir sehr international geworden und haben unsere Teamsprache dann auch auf Englisch umgestellt. Also da sind echt sehr viele Dinge neben und während der Entwicklung von „Spec Ops“ passiert.

Wie habt ihr die Entwicklung der öffentlichen Wahrnehmung des Titels erlebt? Habt ihr intern mitbekommen, dass sich „Spec Ops: The Line“ gewissermaßen einen Kultstatus erarbeitet hat?

Timo: Das haben wir mitbekommen. Das hat sich ja lange entwickelt. Als das Spiel direkt rauskam damals, war die Reaktion noch nicht so, wie wir uns das erhofft hatten. Wir haben auch gesehen, dass manche sehr frühe Reviews… also dass die Tester damals nur ein paar Missionen gespielt hatten, ohne das Spiel komplett durchzuspielen. Das hat man gemerkt in den Reviews. Und weil das ja auch immer so ein tierischer Druck ist – das Review muss raus – das haben wir alles verstanden.

Wir fanden es nur sehr schade, dass das in den anfänglichen Reviews nicht zum Tragen kam, der Ansatz, den wir mit „Spec Ops“ hatten. Das waren dann schon eher Leute, die sich wirklich mehr Zeit genommen haben, das Spiel durchgespielt haben und dann sozusagen die Erfahrung auch in Gänze geschätzt haben.

Und dann haben wir schon über die Jahre auch mitbekommen, dass „Spec Ops“ so einen Kultstatus erlangt hat, eben auch – da gibt es sicherlich mehrere Ursachen dafür –, weil dieser Ansatz, ein Spiel zu machen, was auch ein Anti-Kriegsspiel sein kann, oder sozusagen noch eine Ebene draufzusetzen auf das eigentliche Action-Gameplay, mit der Story und wie sie ins Spiel eingewoben ist – eben der Versuch, den Spieler reflektieren zu lassen, was man als Shooter-Spieler da macht. Also dieser Ansatz wurde dann von vielen, vielen Spielern auch gutgeheißen. Wir bekommen da regelmäßig und konstantes Feedback von den Spielern, immer noch.

Es ist halt sehr schwer im Marketing über das Spiel zu reden ohne die Story preiszugeben und sozusagen diese Twists, die im Spiel vorhanden sind und dann auch gegen die Erwartungshaltung von vielen Spielern zu arbeiten, die sicherlich eine reine Action-Experience erwartet haben und sich das dann wirklich erst erspielen mussten. Wenn man das Spiel durchspielt sieht man erst, wo die Reise wirklich hingeht, nicht nur für das Spiel, sondern auch für den Spieler.

Die Trailer zu „Spec Ops: The Line“ kratzten lediglich an der Oberfläche dessen, was das Spiel am Ende auszeichnete. Was war für euch besonders herausfordernd daran, ein Anti-Kriegsspiel zu entwickeln und natürlich auch zu bewerben, das auf den ersten Blick wie ein recht konventioneller Third-Person-Shooter anmutet?

Timo: „Spec Ops“ überhaupt war eine große Herausforderung für uns, rein auf der Entwicklungsseite so eine große Produktion zu fahren, das Team wachsen zu lassen, sehr viel mehr Kollegen mit ins Boot zu holen und darüber hinaus dann auch eine Erfahrung zu liefern. Wir wollten keinen Hurra-patriotischen Shooter machen, sondern hatten das Ziel, aus unserer Sicht, eine großartige Geschichte zu liefern, die auch ein bisschen gegen die Erwartungshaltung der Spieler geht.

Und diesen Spagat zu schaffen zwischen dem reinrassigen Action-Gameplay und Shooter-Mechanics, Cover-Mechanics und so weiter, und gleichzeitig eine Story zu erzählen, schon rein vom Timing her, mit Cutscenes, die ins Spiel eingestreut sind und die Story weiter erleben lassen und eben auch im Action-Gameplay, diese Transformation von Walker zum Beispiel nachempfinden zu lassen.

Am Anfang kommen sie in die Wüste, scherzen miteinander, die Uniformen sind okay und zum Ende hin ist es wirklich fast schon wie ein psychedelischer Albtraum. Er spricht ganz anders und wenn die auch miteinander kommunizieren, dann hört man auch, wie immer düsterer und dunkler es von der Stimmung auch wird. Und dann wie das aufgebaut war, das es ein konstanter Abstieg ist: Die fangen oben an, da ist es hell, die Sonne scheint und dann geht es immer immer weiter tiefer. Aber jetzt nicht nur rein von der Location, sondern es ist wirklich eine Reise rein ins Herz der Finsternis.

Und das war für uns im Prinzip auch ein großes Risiko, weil man kann ja nicht abschätzen, ob Spieler diese Reise mitmachen oder sagen „Äh, was ist denn das? Damit kann ich mich jetzt gar nicht identifizieren“, ob sie dann auch neugierig genug darauf sind, das weiterzumachen.

Mittlerweile ist das Echo ja ziemlich eindeutig, dass die Leute wirklich bereit sind, diese Erfahrung zu machen.

Timo: Genau. Damals war es aber halt ein großes Risiko, weil wir uns der Reaktion nicht sicher sein konnten und auch nicht wussten, ob überhaupt die Kombination von einem militärischen Shooter auf der einen Seite, diesem exotischen Setting und dieser Story, ob das eine Kombination ist, die ihre Spieler findet.

Aber ich hab das Gefühl, ich will nicht sagen, dass wir die Einzigen waren, aber wir haben bestimmt mit die Tür weiter aufgestoßen, dass man auch sieht, dass ein Publikum dafür bereit ist. Da gab es dann ja auch folgende Spiele, die dieses Thema weiter erkundet haben. Nicht so sehr auf der Shooter-Ebene, This War of Mine zum Beispiel, oder andere, die komplexere Themen sozusagen verhandeln.

Du musst es nicht, auch bei „Spec Ops“, in voller Länge rezipieren als Spieler, sondern du kannst auch sagen „Ich spiele jetzt mein Action-Spiel“, das ist auch okay. Aber für die, die Lust drauf hatten und neugierig waren, wollten wir diese Ebene mit einführen und dann haben wir da auch zu gewissen Kunstgriffen gegriffen, um Leute ein bisschen zu verwirren.

Manchmal hat man Plakate oder Dinge, die man sieht und dann guckt man nochmal hin und dann sind die leicht verändert oder man sieht sie nicht mehr und das sollte zu dieser unsicheren Grundstimmung mit beitragen. Bei manchen Werbeplakaten waren die Augen mal offen oder mal zu und es ist ganz subtil. Man soll sich nicht sicher sein, „Okay, das haben die Entwickler jetzt hier gemacht und jetzt soll ich mich hier gruseln“, sondern eher so „Huh, was war das?“ – so eine Unsicherheit darzustellen und einzurichten.

Der Roman „Herz der Finsternis“ scheint wie gemacht zu sein, um als Vorlage für einen Shooter zu dienen. Wieso fiel eure Wahl unter anderem gerade auf dieses Buch und was war vielleicht schwierig daran, die Themen des Romans in euer Spiel zu übertragen?

Timo: „Heart of Darkness“ hat einen Film inspiriert, „Apocalypse Now“, und den fanden wir ganz toll. Ganz am Anfang war „Spec Ops“ ein Cover-Shooter, eine Action-Experience. Also wir hatten Dubai und Sand schon als Elemente, die im Spiel eine tragende Rolle spielen sollten, und wir haben zusammen mit 2K dann gesessen und das war eigentlich ziemlich cool am Anfang und haben erkundet: Wir wollen noch etwas haben, was ein Alleinstellungsmerkmal für diese Art von Spiel gibt und da haben wir verschiedene Mechaniken uns überlegt und eben auch diese Geschichte. Also wie genau die Wahl dann auf „Apocalypse Now“ oder „Heart of Darkness“ kam, weiß ich gar nicht mehr genau.

Es war auf alle Fälle in Diskussionen mit 2K. Ich weiß nicht, ob Walt das damals vorgeschlagen hat, der Autor, den 2K dann auch noch mit hinzugezogen hat. Also wer da jetzt ganz federführend war, weiß ich nicht mehr, aber in diesen Diskussionen ist es im Prinzip aufgekommen, dass wir eine Geschichte bringen wollen, die abseits von dem, was man so kannte in Spielen. Mit einem Twist, der sozusagen auch die Möglichkeit gibt, Spieler ein bisschen reflektieren zu lassen.

Daran anschließend: „Spec Ops: The Line“ sollte der damaligen Konkurrenz gewissermaßen den Spiegel vorhalten, in der Gewalt, Schießereien und deren Konsequenzen oft etwas banales an sich hatten. Wie betrachtest du die Entwicklung des Genres seit eurem Spiel und glaubst du, ihr konntet vielleicht andere Studios mit eurem Titel zum Nachdenken anregen?

Timo: Auf alle Fälle. Zum Nachdenken und auch so eine Tür aufmachen, dass man ruhig ein bisschen kreativer und offener sein muss. Man muss nicht unbedingt einer Schublade entsprechen, sondern kann eben auch mehrere Dinge kombinieren, die entweder noch keiner gemacht hat oder die als unkombinierbar gelten, denn es gibt nicht diese ewigen Wahrheiten, und das fanden wir gut.

Das machen wir eigentlich mit all unseren Spielen, dass es immer einen Twist gibt oder etwas, was sozusagen eine Mischung aus etablierten, althergebrachten Sachen ist und mit neuen Sachen zu kombinieren, um ein neues Erlebnis zu schaffen. Ich glaube, dass da andere Spielehersteller auch gesehen haben, andere Studios, dass sie da ruhig auch freier sein können, wie zum Beispiel „This War of Mine“ oder… ich will jetzt keine Brücke zu „Spec Ops“ schlagen, aber „Hellblade: Senuas’s Sacrifice“… das gab es damals noch nicht.

Wenn die Risiken hoch sind, die finanziellen, traut man sich eher weniger was und das muss ich 2K zugute halten, dass sie da auch mitgegangen sind. Das (das Shooter-Genre, Anm. d. Red.) ist mittlerweile, glaube ich, ziemlich offen und es gibt natürlich immer noch die Platzhirsche, die tradierte Mechaniken enthalten und im Prinzip den Leuten geben, was sie wollen. Man muss aber auch sehen, die ganze Industrie hat sich so viel weiterentwickelt.

Was wir jetzt machen mit „The Cycle: Frontier“, ist sozusagen eine Kombination aus PvE und PvP und wir spielen dann auch mit Situationen: Was passiert, wenn zwei Spieler sich treffen – und geben denen dann noch Mechaniken an die Hand, damit es nicht zu sehr vordefiniert ist. Du musst nicht aufeinander schießen, obwohl beide wahrscheinlich eine Waffe in der Hand halten. Sie können sich auch dafür entscheiden, miteinander zu sprechen und dann sehen wir, das ist total witzig, dass dann das Aggressionspotential sinkt und die Leute eher miteinander kooperieren.

Das finde ich sehr erfrischend, dass es sehr viele Beispiele gibt, wie die Shooter-Landschaft oder überhaupt Action-Games sich weiterentwickeln und heute gibt es auch eine viel stärkere Interaktion mit der Community. „Spec Ops“ ist ja ein Singleplayer-Titel, hauptsächlich. Es gab ja noch einen Multiplayer-Modus, aber im Prinzip hat 2K den verlangt, um das Leben des Titels über diese Missionen, die wir hatten, über den Singleplayer hinaus zu verlängern.

Und heutzutage bei „The Cycle: Frontier“ und Games-as-a-Service hast du viel mehr Möglichkeiten, mit der Community zu interagieren, was eben cool ist, um Sachen noch ins Spiel zu bringen, an die man am Anfang in der Konzeption noch gar nicht gedacht hat, oder von denen man sich nicht vorstellen konnte, dass das so funktioniert. Da bin ich sehr froh, dass wir heute eine ganze Ecke weiter sind als noch vor zehn Jahren.

Einer der einprägsamsten Momente in „Spec Ops: The Line“ war, als Walker und sein Team durch das Areal laufen mussten, das sie zuvor mit weißem Phosphor bombardiert hatten. Wie kam es zur Entstehung dieses speziellen Abschnitts und wie wolltet ihr sicherstellen, dass diese Momente den Spielern auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben?

Timo: Also uns war, glaube ich, schon sehr früh klar, dass mit weißem Phosphor zu hantieren, weil es ja auch eine unglaublich brutale Waffe ist, dass das kontrovers ist, weil unter bestimmten Bedingungen der Einsatz ja auch verboten ist. Und die meisten Encounters, die man im Spiel hat, da hat man ja die Wahl oder wird vermeintlich vor die Wahl gestellt. Und da gab es dann auch große Diskussionen, dass wir da keine Wahl lassen – also die Wahl ist: Du legst den Controller aus der Hand und spielst nicht weiter, in der Szene vorher, wo du mit dem Phosphor hantierst und bombardierst.

Und das finde ich einen der Schlüsselmomente, weil man glaubt, das Richtige zu tun oder sich denkt „Ja, ich bekämpfe ja hier die feindlichen Soldaten“ und dann lassen wir den Spieler durch dieses Areal laufen und man sieht „Ey, das war ja gar nicht so, wie wir ursprünglich gedacht haben.“ Also diese Unsicherheit, dieses Reflektieren darüber, dass man denkt, man kann eine Situation einschätzen und dann ist sie doch ganz anders und man hat sozusagen irreparablen Schaden angerichtet, das war so ein wichtiger Moment aus unserer Sicht, so was erlebbar zu machen, deshalb haben wir die Leute dann auch durch das Areal durchgeschickt.

Ich glaube, das ist ja auch der Moment, wo Walker snappt und das war eine sehr aufwändige Szene. Die Vorbereitung darauf, das Research zu machen, das war schon eine ziemliche Anspannung, weil wir uns dann auch natürlich, unsere Artists und Level Designer vor allem, Bilder anschauen mussten, was weißer Phosphor anrichtet. Also das war schon sehr harter Tobak. Aber am Ende ist die Szene im Spiel sehr plastisch und erlebbar geworden und rechtfertigt auch den Aufwand, den wir da getrieben haben.

Eine weitere Szene, über die Spieler mittlerweile seit Jahren diskutieren, ist die Helikopter-Sequenz am Anfang und im 12. Kapitel von „Spec Ops: The Line“. Laut einer beliebten Theorie ist Walker im Prolog des Spiels gestorben und alle anderen Ereignissen sind lediglich eine Art Flashback. Was war euer Ziel mit diesen speziellen Sequenzen und was ist deine Interpretation der Szenen?

Timo: Das ist absolut eine valide Interpretation, die wir hier im Studio auch hatten. Also wir haben da gesagt, das wollen wir so offen lassen und wirklich der Interpretation der Leute anheim stellen, sozusagen dass man daraus macht, was man möchte. Aber genau, das war auch eine große Diskussion im Studio: Ist Walker jetzt tot? Halluziniert er nur noch? Oder es geht dem Ende entgegen und das läuft sozusagen alles nur nochmal in seinem Kopf ab – das ist absolut eine valide Interpretation.

„Spec Ops: The Line“ ist vollgestopft mit allerlei kleinen Anspielungen und Andeutungen auf das, was tatsächlich in der Story vor sich geht und wie Walkers Seelen zerschmetternde Reise ausgehen wird.

Timo: Entscheidungsszenen fand ich immer sehr prägnant und bewegend, also das erste Mal, wo sie an die Brücke kommen und da hängen diese vermeintlichen Verräter. Der eine, der Wasser gestohlen hat… und du kannst den erschießen, du kannst versuchen, diese Seile durchzuschießen… die Szene mit dem Phosphor oder auch mit Lugo, wo Lugo im Prinzip gesteinigt wird, die finde ich sehr bewegend. Und dann diese vielen kleinen Anspielungen auch, wenn man durch das Level reist, durch das Spiel reist und dann sieht man diese Evakuierungspunkte und kann sich vorstellen, was zu dieser Zeit dort stattgefunden hat und den Storm oder den Sand, der nicht nur eine optisch interessante Sache ist oder nicht nur ein optisches Element, sondern im Gameplay damit zu arbeiten und den Strom mit einzubauen.

Gibt es vielleicht ein solches Detail, das besonders schwierig zu integrieren war?

Timo: Also da gibt es unzählige Sachen eigentlich, von denen ich finde, dass die sehr gut kombiniert sind, um diese Reise von Walker auch darzustellen und nach erlebbar zu machen – zumindest nahbar zu machen, dass man sich schon, wenn man möchte, auch da hineinversetzen kann.

Da waren viele Sachen… diese Sequenz, ich weiß nicht, an welcher Stelle das im Spiel war, wo die US-Soldaten jemanden foltern, Sandboarden, und man im Prinzip dann selber entscheiden kann, wann man da eingreift, ob man dort eingreift oder, um nochmal aufs White Phosphor zurückzukommen: Schon diese ganze Vorarbeit, das Research dazu, und dann weiß ich auch, dass wir in verschiedenen Levels Probleme damit hatten, dass die Story sich ständig weiterentwickelt hat.

Also Walt, der Hauptautor, hat ja im Prinzip bei uns sehr lange in Berlin gelebt und wir haben mit ihm zusammengearbeitet im Studio und zusammen mit unseren Level Designern, Game Designern ist die Story dann immer weiter gesponnen worden und eben auch die Dialoge. Und dann haben wir gesehen „Okay, jetzt reicht gar nicht die Zeit, um so einen Dialog plausibel abzuspielen“, also müssen wir den Level irgendwie verlängern oder noch eine Passage einfügen, dass die Charaktere auch genügend Raum haben, um die Dialoge und damit auch die Beziehung zueinander erlebbarer zu machen.

Oder was ich damals ein sehr cooles Detail fand, war, dass wir virtuelle Szenen aufgenommen haben, also dieses Motion Capturing von vielen Cutscenes, das war dann in der Gestalt, dass Emmanuel Gorinstein, der Regisseur dieser Cutscenes war, der konnte dann mit so einer virtuellen Kamera nochmal durch die Szene, die dann schon aufgenommen war, um sich den besten Winkel zu suchen und die Kamera zu platzieren und das konnte er schon beim Capturing zum Teil machen. Das fand ich technisch sehr toll und ein cooles Detail, was man vorher so aus Avatar kannte, da wurde das so richtig eingeführt und wir haben das auch gemacht, das fand ich ein cooles Detail.

Apropos Ende: Cory Davis sagte in einem Interview, das Team wollte, dass „Spec Ops: The Line“ mit Walkers Tod endet. Warum habt ihr euch gerade für einen solchen Ausgang der Geschichte eingesetzt, der auch in aktuellen Spielen immer noch eher selten vorkommt?

Timo: Wir haben ja vier Enden, also da gibt es ja, ohne jetzt zu sehr zu spoilern nach zehn Jahren, viel Interpretationsspielraum. Das wäre ein Abschluss gewesen, aber wir wollten es schon eher offen halten, weil, ganz ehrlich, man sich natürlich auch überlegt „Passt das zu der Story oder sollte es dort auch verschiedene Enden geben, wo man einfach nochmal darüber nachdenken kann?“ Das ist, glaube ich, auch ein Vorteil gegenüber dem Film als Medium oder dem Buch, dass man halt die Möglichkeit hat, entsprechenden Aufwand zu treiben und dann verschiedene Enden zu geben, um mehr Ambiguität oder Interpretationsspielraum zuzulassen.

Es freut mich auch immer, mit Leuten darüber zu sprechen, die sich diese Enden auch wirklich angesehen haben. Weil „Spec Ops“ im Ganzen war schon eine herausfordernde Produktion für uns damals und es ist dann immer schön, zu sehen, dass es immer noch Leute gibt, die das sehr schätzen und sich damit auch auseinandersetzen.

Da gibt es auch unterschiedliche Meinungen, selbst im Studio, weil wir natürlich nicht diese Bibel hatten – Produktionsbibel –, wo dann drinsteht „Und Walker stirbt.“ Es gibt unterschiedliche Interpretationen oder einfach Leute, die sagen „Das ist mein Lieblingsende“ und unterschiedliche Auffassungen darüber, wie „Spec Ops“ endet.

Nach der Veröffentlichung von „Spec Ops: The Line“ hattet ihr den Kollegen der GameStar damals gesagt, die Entwicklung des Spiels sei eine extreme Herausforderung für das Team gewesen. Was hat euch während eurer Arbeit am Spiel besonders viel abverlangt?

Timo: Zum einen, diese Research zu machen, zu diesen dunklen Themen, also wie wir auch Gewalt darstellen und wir sind hier ja alle nicht diese Waffennarren gewesen und mussten uns natürlich intensiv damit beschäftigen, wie die Waffen funktionieren, welche Effekte Waffen hinterlassen, wenn es darum geht, wie eine Granate funktioniert, was eine Granate macht. Und für diese Weißer Phosphor-Szene haben die Artists sich sehr harten Tobak, wie Kriegstrauma, angeschaut, um zu wissen, worüber man redet. Das ist ja eh nur sekundäre Wahrnehmung.

Und was ich interessant fand, war auch, wir hatten ein Mitglied der Special Forces, der uns geholfen hat mit der Kommunikation, also wie die Soldaten miteinander sprechen, wenn sie im Einsatz sind, wenn sie sich gegenseitig Kommandos geben, das fand ich interessant. Und herausfordernd waren natürlich auch diese kreativen Reibereien innerhalb des Teams, mit 2K, weil man sich ja natürlich vorstellen kann: Eine fünfjährige Entwicklung, wo wir als Studio auch sehr gewachsen sind, dass das nicht von Anfang an so geplant war, dass wir jetzt fünf Jahre an diesem Spiel entwickeln, das hinterlässt Spuren.

Man ist dann auch sehr erleichtert, in mehrerlei Hinsicht, wenn man das Spiel wirklich abgeben kann und dann steht es wirklich im Laden und die Leute spielen das. Das war schon wirklich eine große Genugtuung und eine Erlösung, weil wir sehr intensiv am Spiel gearbeitet haben und wir so viele Sachen gebaut haben, die wir am Ende dann wieder entfernen mussten, weil die Story sich verändert hat oder weil es nicht mehr zur ganzen Stimmung des Spiels gepasst hat.

Wir haben auch Settings gehabt, die wir dann weggeschmissen haben oder wegschmeißen mussten, weil die so keinen Platz im Spiel gehabt hätten und wir hatten die natürlich auch mit sehr viel Liebe und Hingabe gebaut. Da gab es einige Set pieces, die unsere Level Designer und Artists und so weiter gemacht haben, und wo es dann super schade ist und eine große Herausforderung auch zu sagen ist, „Ja, okay, ich hab das mit so viel Liebe gebaut, aber ich sehe ein, das passt nicht zum Spiel und wir können das jetzt nicht verwenden.“ Das sozusagen dem großen Spiel unterzuordnen, das ist schon auch sehr hart. Sachen, die man selbst geschaffen hat, nicht verwenden zu können und das dann auch mitzutragen und zu sagen „Ja, ist okay, das passt halt nicht und deswegen lass mal weitermachen“ und da waren einige solcher Momente.

Walt Williams sagte in der Zeit nach dem Release etwas ähnliches und gab an, das Team würde lieber Glas essen, als einen Nachfolger zu entwickeln.

Timo: Danach, ja, da haben wir uns so gefühlt. Also wir waren super froh. Wir haben uns auch auf eine neue Herausforderung gefreut. Wenn du so lange so intensiv an etwas arbeitest, das ist natürlich auch eine Herausforderung, weil man als Kreativer immer so ein bisschen versucht, über den Tellerrand hinweg zu schauen und da war dann wirklich auch gut. Also wir waren froh, dass es dann nach fünf Jahren vorbei war und stolz, dieses Spiel geschaffen zu haben.

Aber ich glaube, es wäre nicht möglich gewesen, direkt danach zu sagen, „So, jetzt machen wir Spec Ops 2!“ Es gab Gespräche, auch mit Walt, eher über einen spirituellen Nachfolger. Wie können wir diese Elemente, die wir in „Spec Ops“ erkundet haben, wie können wir die dort umsetzen und auch in etwas Neues einbauen.

Dass wir nicht jetzt „Spec Ops 2“ machen, weil uns auch ziemlich klar war, dass es so gesehen ein Solitär war, und diese Gespräche haben nicht gefruchtet. Wir haben mit 2K auch darüber gesprochen, da gab es Interesse, auch später immer mal wieder, aber ich glaube, dass direkt nach der Veröffentlichung die Verkaufszahlen das dann auch nicht hergegeben haben, sodass weder auf unserer Seite noch auf 2Ks Seite, sozusagen aus finanzieller Sicht, dieser unbedingte Wunsch da war „Ey, jetzt komm, lass uns mal ganz schnell einen Nachfolger machen!“, weil wir jetzt hier sehen, wir sind auf Gold gestoßen. Das war nicht so.

Wie du es vorhin auch beschrieben hast, dass die Community sich das eher nach und nach erobert hat und das Spiel entdeckt hat, sorgt eben dafür, dass das so ein extrem langes Leben hat. Es ist so witzig ab und zu, wenn ich hier mal auf Twitch gucke, bei unserem aktuellen Game, dann sieht man, hier wird nochmal „Spec Ops“ gespielt. Ich glaube, finanziell ist es mittlerweile auch ganz gut, aber so direkt nach dem Release war es nicht so gut und das kombiniert mit der Erschöpfung, die wir halt gespürt haben, „Spec Ops“ fertig zu machen, hat dann eben dazu geführt, dass es keinen Nachfolgetitel gab.

Aber wir hatten sogar hier und da schon ein paar Konzepte in der Schublade, die sich eher dem Thema gewidmet haben, als jetzt direkt ein „Spec Ops 2“ zu machen. Wir haben auch mit Walt, ich kann mich erinnern, einige Gespräche, wo es darum ging, „Wollen wir denn nicht statt der Nachfolge – man wusste ja nicht, ist Walker tot oder nicht – sozusagen die Vorgeschichte der drei oder von Walker erkunden?“ Also da hätte es schon ein paar Möglichkeiten gegeben. Aber am Ende ist es aus vielerlei Gründen nicht dazu gekommen.

Wart ihr rückblickend auch etwas erleichtert, dass es kein Sequel zum Spiel gegeben hat?

Timo: Wir hatten schon ein Projekt, wir wussten, was wir machen würden und haben uns dann auf dieses neue Projekt auch schon sehr gefreut. „Spec Ops“ ist schon eine sehr düstere Thematik und da freut man sich, wenn man dann auch ein anderes Thema mal beackern kann. Das haben wir schon alle gespürt, glaube ich.

Ich weiß noch, direkt die Release-Feier, das war natürlich im Juni sehr sonnig, sehr warm, es hat sich einfach sehr gut angefühlt, mit diesem Stolz und dieser Genugtuung „Wir haben es jetzt aus der Tür, es ist gut geworden und jetzt machen wir was Neues“, das war so das Gefühl, das 2012 vorgeherrscht hat.

Richard Pearsey schrieb in einem Artikel über „Spec Ops: The Line“, die Story des Spiels habe nicht darauf abgezielt, dem Spieler Antworten auf moralische Dilemmata zu geben, sondern sie emotional zu packen. Was war für euch die größte Herausforderung, um dieses Ziel zu erreichen?

Timo: Wir wollten auf keinen Fall mit dem Zeigefinger dastehen. Das ist so ein Trap, eine Falle, wenn man Widersprüche aufzeigt oder Dilemmata und dann sagt „Hey, mach doch so“. Wir wollten das wirklich spiegeln oder die Situation offen darstellen und die Spieler zu einem Teil ihre Entscheidungen treffen lassen, das Ganze aber eben in eine konsistente Story eingebacken.

Es ist nicht so, dass wir dir als Spieler die Chance geben, die Welt zu retten und alle haben sich wieder lieb. Es gibt ein paar Entscheidungsmomente, trotzdem ist dieses Framework der Geschichte da und da die richtige Balance zu finden, das war sicherlich eine Herausforderung. Und Richard und Walt und unsere Designer, die haben sehr intensiv daran gearbeitet. Bestimmte Passagen sind sehr oft überarbeitet worden, um die Story am Ende so dastehen zu lassen.

Was glaubst du, ist das Vermächtnis von „Spec Ops: The Line“ und denkst du, es könnte auch in den kommenden Jahren als Vorbild weiterhin relevant für Story-getriebene Shooter bleiben?

Also das glaube ich schon, ohne uns jetzt zu sehr zu erhöhen und unseren Beitrag. Aber ich glaube, „Spec Ops“ war einer der Titel, die gezeigt haben, dass man eine Action- oder eine Shooter-Experience durchaus mit einem Thema so verknüpfen kann, mit einer Geschichte, die mehr ist als die Summe dieser Teile, als das am Anfang den Anschein macht und dass man die Spieler auch auf eine Reise mitnehmen kann, ohne dass sie darauf vorbereitet sein müssen.

Spieler sind sehr viel offener als man sich das manchmal vorstellt und ich glaube, daran hat „Spec Ops“ auch seinen Anteil. Und die Möglichkeit, verschiedene Themen, verschiedene Mechaniken so miteinander zu verweben, dass etwas neues dabei herauskommt, das ist, glaube ich, schon einer der Verdienste, auch von „Spec Ops“.

Vermächtnis ist so ein großes Wort. Shooter oder Spiele sind nicht nur Mechanik, das wusste man natürlich vorher schon, aber man kann Dinge so kombinieren, die Leute packen, indem man Sachen kombiniert, die am Anfang vielleicht doch als unvereinbar gelten oder wo die Leute am Anfang sagen „Ja, klar, ein Shooter. Sicher hat der eine Story, die steht hinten auf dem Cover drauf“ – aber zu zeigen, dass man Action-Erfahrungen damit kombinieren kann und damit was schaffen kann, was die Leute wirklich emotional packt und vielleicht, wenn man träumen darf, sie auch zum Nachdenken anregen kann, über das, was sie erleben, was sie tun, das wäre schon toll.

Aber nach zehn Jahren haben wir auch so viel verschiedenes Feedback bekommen. Es gab Lehrer aus den USA, die die Story oder das Spiel als Vorbild genommen haben, um Stücke aufzuführen in Schulen. Oder eben auch, das war kurz nach „Spec Ops“, wo uns ein Bundeswehrsoldat geschrieben hat, dass er sehr beeindruckt war, diese Widersprüche und Konflikte in dem Spiel zu sehen, die er in Einsätzen in Afghanistan erlebt hat, das war schon was. Da denkt man „Wow, krasse Sache.“

Wenn Leute sich wirklich hinsetzen und eine lange E-Mail schreiben und im Prinzip dem Studio danken und allen, die daran mitgearbeitet haben, dann ist das schon ein tolles Gefühl. Und bei „Spec Ops“ haben wir das eben gesehen, das hält über Jahre an, wo das natürlich auch schon ein Indikator war, dass es einen gewissen Nerv getroffen hat.

Man muss auch heute noch sagen, dass ich immer wieder beeindruckt bin, mit 2K damals, dass wir das alle so… Es gab natürlich ein riesen Hickhack und Probleme, die wir miteinander hatten, auf der finanziellen Seite, aber dass aus einer starken Anstrengung so was Tolles entstanden ist, das ist schon beeindruckend und auch eine schöne Erfahrung, die ich jetzt im Nachhinein nicht missen will. Direkt nach dem Release, waren wir alle sehr froh und erleichtert und stolz, das Spiel fertig zu haben. Aber wir denken jetzt immer noch gerne daran zurück.

Vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast.

Anmerkung: Dieses Interview wurde verkürzt und verdichtet.

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