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Anthem im Test: Bioware im Sturzflug!

Totalausfall oder doch ein solider Online-Shooter? Biowares Shared-World-Ballerei „Anthem“ trifft dieser Tage auf ordentlich Kritik. Wie gut funktioniert der Shooter wirklich?

play3 Review: Anthem im Test: Bioware im Sturzflug!

7.0

Bioware erarbeitete sich über Jahrzehnte einen guten Rufe – besonders für das Erzählen spannender und emotionaler Geschichten. Doch mit dem 2017 veröffentlichten „Mass Effect: Andromeda“ erhielt diese Legende Risse.

Und auch das bereits 2014 angekündigte „Anthem“ traf bei der treuen, aber kritischen Fangemeinde über die vergangenen Jahre nicht auf Gegenliebe.

Spätestens nach dem holprigen Beta-Test sind alle Augen auf Anthem gerichtet. Ganz so schlimm wie befürchtet, ist das Ergebnis zwar nicht, trotzdem bleibt „Anthem“ hinter den Möglichkeiten zurück.

Was wir gut finden

Der „Iron-Man“-Simulator

„Anthem“ entführt euch in die durch die Dominion bedrohte Spielwelt Bastion. Und so generisch der Science-Fiction-Plot auch sein mag, so erschafft Bioware dennoch ein stimmungsvolles Setting und eine durchaus lebendige, offene Spielwelt. Fort Tarsis und die Startrampe dienen als Ausgangspunkt für künftige Abenteuer. Springt ihr – nach einer längeren Ladepause – schließlich ins Spiel hinein, entfaltet „Anthem“ zunächst seine ganze Stärke. Denn die Javelins steuern sich herausragend gut und kommen wohl am dichtesten an den „Iron-Man“-Simulator heran. Ihr saust also per Düsenantrieb durch Canyons, kühlt euch im Wasser ab oder wechselt in den Schwebezustand, um Gegner aufs Korn zu nehmen.

Schöne Action, aber mit zu vielen Fehlern

Dank des gelungenen Tutorials findet man sich extrem schnell zurecht und erfreut sich an der handlichen Steuerung und den toll inszenierten Schlachten. Dass die Javelin bei längeren Flügen überhitzen und eine kurze Pause benötigen, ist an dieser Stelle verschmerzbar.

Insgesamt bietet „Anthem“ vier Javelins, die ihr im Verlauf durch Level-Aufstiege freischaltet. Sie alle besitzen ihre Eigenheiten und einen angenehm differenzierten Spielansatz. Der Ranger ist die typische „Mittelklasse“, während der Colossus als Tank und der Storm als „Elementar-Magier“ fungiert. Die Zusammenarbeit der vier Klassen funktioniert tadellos und die gefälligen Gefechte bieten mehr als genug Zugänglichkeit und Varianz, um über die ersten Stunden – trotz aller Schwächen – zu motivieren. „Anthem“ spielt sich toll. Die Probleme liegen leider woanders.

Die Freuden des Mehrspielerbetriebs

„Anthem“ ist ein reiner Online-Shooter. Einen Offline-Modus gibt es nicht. So richtig Freude bereitet das Spiel auch erst im Team. Wer keine Freunde parat hat, dem stellt das Programm per Spielersuche schnell einige Gleichgesinnte zur Seite. Zwar verzichtet Bioware – im Gegensatz zu „Apex Legends“ – auf ein Markersystem, trotzdem funktioniert das Spiel auch mit Fremden ausgezeichnet.

Die Missionsanweisungen sind derart eindeutig, dass jeder weiß, was er zu tun hat. Friendly-Fire gibt es nicht. Stellt sich einer eurer Kameraden in den Weg, blockt er lediglich den Angriff. Wer es nicht rechtzeitig ins Zielgebiet schafft, den beamt „Anthem“ kurzerhand in die Schlacht. Quertreibereien sind also kaum möglich.

„Anthem“ unterstreicht seine Koop-Ambition mit dem Kombo-System. Elementarangriffe ergänzen sich im Kampf. Das bedeutet: Werft ihr etwa eine Frost-Granate auf einen Gegner und beschießt ihn danach mit einem Blitz, richtet das mehr Schaden an. Gerade für eingefleischte Teams ist diese Erweiterung sehr sinnvoll. Auch schön: Der Colossus kann beispielsweise seinen Schild beim Wiederbeleben eines Kameraden heben und sich so schützen. Wir hätten uns noch mehr ausdrückliche Koop-Aktionen gewünscht.

Das sieht gut aus!

„Anthem“ schreckt einen – etwa im Gegensatz zu „Fallout 76“ – trotz vieler Schwächen nicht sofort ab. Biowares Online-Shooter besitzt nämlich technisch alle Stärken, die ein modernes Videospiel mitbringen muss. Die Zwischensequenzen sehen klasse aus und überzeugen nicht nur mit der gelungenen Sprachausgabe, sondern auch mit den starken Gesichtsanimationen.

Auch die offene Spielwelt Bastion punktet: Dynamische Wetterwechsel, umher fliegende Vögel und Partikeleffekte beleben das Szenario. Immer wieder fliegen feine Partikel durch die Luft und selbst in Höllen glänzt und glimmert es an jeder Ecke. Kurzum: „Anthem“ sieht klasse aus und in Verbindung mit der unkomplizierten Steuerung des Javelins wächst speziell in der Anfangsphase die Lust am Entdecken.

Bioware wiederum lockert Bastion mit versteckten Kisten, Ressourcen und dynamischen Events auf. Tägliche, wöchentliche und monatliche Herausforderungen sowie ein rudimentäres Fraktionssystem für die Dialoge bescheren euch immer mehr Extras für kosmetische Umbauten eures Javelins. Sehr schön: Die integrierten Mikrotransaktionen beziehen sich ausschließlich auf Cosmetics.

Bei Weltereignissen handelt es sich um dynamische Missionen, in denen ihr Banditenlager ausräuchert, Arkanisten rettet oder andere Aufgaben erfüllt. Das System ist nicht atemberaubend neu, dafür aber bewährt. Festungen wiederum beschreiben Dungeons, die mit großen Brocken wir der Schwarmtyrannin enden. „Anthem“ besitzt ein Level-Cap von 30. Danach schaltet ihr zusätzliche Schwierigkeitsgrade frei und verbessert noch weiter eure Ausrüstung.

Was wir schlecht finden

Langatmig, umständlich, kompliziert

In Sachen Benutzerführung herrscht bei „Anthem“ noch großer Nachholbedarf. Gerade die Hub-Welt Fort Tarsis wirkt wie eine Kulisse bevölkert von Statisten. Zwar überzeugt das Spiel mit seiner – gerade im Vergleich zu „Mass Effect: Andromeda“ – stimmigen Präsentation, etwas mehr Dynamik wäre wünschenswert gewesen.

Doch das größte Problem sind die langen Wege. Immer wieder schickt euch „Anthem“ von einem Auftraggeber zum nächsten. Und das kostet Zeit. Bevor ihr eine Expedition mit dem Javelin startet, müsst ihr zunächst zur Schmiede zurück. Zwar gibt es für zwischendurch auch die Startrampe – eine Art komprimierte Version der Tarsis. Jedoch fehlen hier die Story-relevanten NPCs.

Zum Thema: Anthem – Weitere Details zu UK-Verkaufszahlen – Nur 10 Prozent der Destiny-Launch-Woche

Lange Ladezeiten behindern immer wieder den Spielfluss. Und wagt ihr schließlich in der offenen Spielwelt den Absprung, müsst ihr mit dem mangelhaften Schnellreisesystem auskommen. Auf der Karte fehlen einfach ausreichend viele Anlaufstellen, um das freie Spiel zu erleichtern. Ebenfalls störend: Ihr könnt trotz Javelin-Anzug nicht über die Felsen hinweg fliegen, sondern müsst euch euren Weg durch die Canyons bahnen.

Ein typischer Loot-Shooter

Dummerweise bringt „Anthem“ auch einige Schwächen anderer Genre-Vertreter mit sich. Das Missionsdesgin nutzt sich bei einer Spielzeit jenseits der 30 Stunden sehr schnell ab. Zwar probiert Bioware mit dem Suchen von Artefakten und Runen oder dem Befreien von Arkanisten immer wieder Abwechslung ins Spiel zu bringen, angesichts der Masse an Aufträgen, die ihr aber im Verlauf erledigt, kommt es schnell zu Wiederholungen. Wellenangriffe gehören somit zum Alltag und irgendwann gibt es einfach keine Überraschungen mehr. Die Gegnertypen fallen zwar gerade in den ersten Stunden recht abwechslungsreich aus, später aber variiert „Anthem“ lediglich deren Stärke.

Passend dazu eignet sich „Anthem“ vor allem für Multiplayer. Zwar könnt ihr die Missionen und auch das freie Spiel alleine angehen, doch angesichts der Gegnerhorden und der eintönigen Missionen vergeht einem alleine schnell die Lust. Wer im Team spielt, levelt schneller auf und hat zudem bessere Chancen beim Kombosystem. Für Solisten eignet sich „Anthem“ somit nur sehr begrenzt.

Zu wenig Fleisch auf den Rippen

Die Geschichte bleibt – gerade für ein Bioware-Spiel – ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. Zwar besitzt der Kampf gegen die Dominion seine Momente, wirkt aber in sich nicht kompakt und emotional genug erzählt. Die wenigen Twists gehen im Einerlei der Missionen und des Lootens unter. Schade: Das Dialogsystem hat – abseits von ein paar zusätzlichen Belohnungen der Fraktionen – keinen Einfluss auf die Geschichte.

Im Verlauf fallen schließlich die oberflächlichen Charakterfunktionen störend auf. Nachdem Bioware im Zuge des misslungenen Beta-Tests das Skill-Systems aus dem Spiel warf, dominiert das Aufwerten des eigenen Profils und das Verstärken der eigenen Bewaffnung und der Ausrüstung das Endgame. Vier Javelins sind zwar ausreichend, aber im Vergleich zu anderen Spielen längst nicht die Welt.

Darüber hinaus mangelt es dem Ausrüstungssystem noch an Tiefe. Waffen verfügen zwar über Modifikatoren und Javelins über individuelle Objekte, trotzdem bleibt „Anthem“ hinter den Möglichkeiten zurück. Wir vermissten etwa Erweiterungen wie Visiere und Griffe zum Verbessern der Waffen schmerzlich. Gleiches gilt für erweiterte Crafting-Funktionen zum weiteren Aufbessern lieb gewonnener Objekte. „Anthem“ kratzt an der Rollenspieloberfläche.

7.0

Wertung und Fazit

PRO
  • schöne Spielwelt und gelungene Grafik
  • tolle Steuerung mit gelungenem Shooter-Gameplay
  • vier Javelins mit unterschiedlichen Ansätzen
CONTRA
  • viele Programmfehler
  • wirkt vielerorts im Umfang beschnitten, durchwachsene Kampagne
  • teils sehr unkomfortabel und langatmig in der Bedienung

Anthem im Test: Bioware im Sturzflug!

Machen wir es kurz: „Anthem“ besitzt gute Anlagen, wirkt aber an vielen Stellen noch nicht fertig. Das beginnt bei den vielen Programmfehlern und endet schließlich in dem halbgaren Ausrüstungssystem und der verkopften Menüführung. Bioware muss jetzt viel Zeit und Arbeit investieren und Wiedergutmachung bei den Fans betreiben.

In dem Zustand nach dem Launch jedenfalls ist „Anthem“ gegenüber starken Titeln wie „Destiny 2“ oder auch dem sehr ähnlichen „Warframe“ kaum gewachsen. Dem Spiel mangelt es an Feintuning und Content. Deshalb: Solltet ihr mit dem Kauf liebäugeln und skeptisch sein, dann wartet lieber noch einige Monate. Bioware wird nachrüsten und vermutlich sehen wir in einem halben Jahr ein ganz anderes Spiel.

Für den Augenblick jedenfalls zeigt „Anthem“ gerade bei der Präsentation, dem Handling und dem puren Shooter-Gameplay seine Stärken. Es macht zweifellos Spaß, sich mit den Javelins durch eine Horde Soldaten und Insekten zu metzeln. Wenn Bioware darauf aufbaut, kann aus „Anthem“ noch was werden. Aktuell erhält es aber von uns keine Kaufempfehlung.

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Kommentare

Analyst Pachter

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kornelPolska

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Weichmacher

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ADay2Silence

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