Auf die Euphorie folgte der Kater: Als sich das Hamburger Gaming-Unternehmen Daedalic die Tolkien-Lizenz zu „Der Herr der Ringe: Gollum“ sicherte, war die Freude zunächst groß. Schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass sich gerade ein deutsches Studio einen derartigen Namen sichert. Doch schon während der Entwicklung geriet „Gollum“ immer wieder in die Schlagzeilen. Die ersten Screenshots und Gameplay-Eindrücke beeindruckten nur bedingt. Release-Verschiebungen schürten die Skepsis bei Spielern und Fachpresse.
Und auch kurz vor Erscheinen gab es Knatsch: Ein Savegame-Bug zerstörte die Spielstände und sorgte in unserem Fall dafür, dass die Vorab-Versionen erst kurz vor Release samt dazugehörigem Hinweis auf den Day-One-Patch ausgeliefert wurden. Die erste Welle der Kritiken ist vernichtend und nicht selten wird „Gollum“ als eines der schwächsten Spiele des Jahres 2023 gebrandmarkt. Aber sind diese vernichtenden Urteile übertrieben oder gar doch gerechtfertigt?
Der Wiedererkennungswert ist da
Bevor wir uns auf die zweifellosen Probleme von „Der Herr der Ringe: Gollum“ stürzen, zunächst einmal ein Blick auf seine Stärken: Nämlich den namensgebenden Hauptcharakter selbst. Das Spiel erzählt die Geschichte, die in Peter Jacksons Filmtrilogie sehr kurz kam: Was geschah eigentlich mit Gollum, nachdem Saurons Häscher ihn gefangen und nach Mordor verschleppt haben? Ihr erfahrt hier also durchaus etwas Neues und das wird „Herr der Ringe“-Fans sicherlich erfreuen.
Daedalic stellt diesen Plot aus der Retrospektive dar und führt zu Beginn u.a. auch Gandalf als Nebenfigur in das Spiel ein. Und so erlebt ihr Gollums Knechtschaft in den Minen des dunklen Herrschers, seine Flucht aus Barad-dûr und was danach geschieht. In den insgesamt zehn Kapiteln und einer Spielzeit von etwa 15 Stunden erkundet ihr auch einige aus den Filmen bekannte Schauplätze und trefft ebenso populäre Figuren wieder. Die Inszenierung ist mitunter hölzern und die Charaktermodelle wirken steif. Aber der Wiedererkennungswert ist dennoch sehr hoch.
Darüber hinaus schafft es die Figur Gollum, dass sie einem sehr schnell ans Herz wächst. Anfangs überlegten wir noch, ob wir den einstigen Ringträger wirklich mögen, aber mit der Zeit ist Gollum ein interessanter und gleichermaßen ungewöhnlicher Hauptcharakter. Seine zwiegespaltene Persönlichkeit greift Daedalic u.a. in den Dialogen und bei Entscheidungsmomenten auf. Hier müsst ihr immer wieder überlegen, ob ihr als Gollum oder als Sméagol (re)agieren möchtet.
Während Sméagol eher nett und zurückhaltend ist, erweist sich Gollum oftmals als schroff und sogar aggressiv. Entsprechend variieren auch die Reaktionen. Ein großes Lob verdient sich an dieser Stelle auch die deutsche Synchronisation, die zwar nah an der Filmvorlage liegt, aber die beiden Persönlichkeiten ausgezeichnet einfängt.
Die Geschichte hinter „Der Herr der Ringe: Gollum“ ist sicherlich nicht Oscar-verdächtig. Jedoch ist die Mischung aus einem interessanten Hauptcharakter und dem Wiedererkennungswert der Lizenz zweifellos gegeben und die große Stärke des Spiels.
Technisch auf schlechtem Niveau
Dummerweise aber enden damit auch über weite Strecken die wirklich positiven Aspekte des Spiels. „Gollum“ selbst entpuppt sich nämlich als spielerisch dünnes und technisch unsauberes Schleich-Abenteuer, das weder beim Gameplay noch bei der Präsentation Bäume ausreißt.
Auch wenn uns im Test Abstürze nicht ganz so stark plagten wie andere Pressevertreter, so befindet sich das Programm zum Start in einem schlechten Zustand. Die Daedalic-Crew entschuldigte sich bereits dafür und gelobte Besserung in Form weiterer Patches. In unserem Test-Durchmarsch allerdings beobachteten wir eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten wie beispielsweise schroffe Übergänge zwischen Animationen, enorme verwaschene Texturen und merkwürdig platzierte Ladepausen.
Der technische Gesamteindruck erweist sich somit als schlecht und das zieht auch die Präsentation merklich nach unten. Mitschuld daran ist auch nicht zuletzt das fragwürdige Design von Charakteren und Spielwelt. Man sucht offensichtlich die Nähe zu den erfolgreichen Filmen, schafft es aber nicht, diesem Look eine eigene Note zu verleihen. Stattdessen sehen gerade die Orks geradezu grotesk menschlich und langweilig aus.
Bei den Dialogen und Ingame-Story-Passagen fallen weitere Unzulänglichkeiten auf: Die Mimik der Charaktere ist abseits von Hauptcharakter Gollum kaum gegeben. Und Details wie beispielsweise ein stocksteifer, nach vorne stehender Bart beim sogenannten „dünnen Mann“ in der Anfangsphase des Spiels sorgen für unfreiwillig komische Momente.
Ein Spiel, sie zu knechten …
Und so gelingt es „Gollum“ auch nicht, diese Probleme durch sein Gameplay auszugleichen. Die Mischung aus Stealth- und Geschicklichkeitspassagen ist nämlich zum einen arg seicht geraten, zum anderen aber auch sehr holprig und unhandlich kontrollierbar. Gollum beherrscht zwar Aktionen wie weite Sprünge und Wall-Runs und kann an klar markierten Vorsprüngen entlang hangeln, allerdings sind Navigation und auch Handling unpräzise.
Im Test rannten wir etwa gleich mehrfach um Leitern herum, ehe die Spielfigur endlich an ihr hochkletterte. Oftmals spielt die Kamera schlicht nicht mit und rotiert wild um den Protagonisten. An anderen Stellen wiederum sorgen Ungenauigkeiten für plötzliche Stürze in die Tiefe. Immerhin sind die Checkpunkte fair gesetzt, sodass ihr euch von einem Punkt zum nächsten vorarbeiten könnt. Trotzdem: Wer Titel wie „Assassin’s Creed“ oder auch „Uncharted“ gewohnt ist, wird sich ob der Kletterpassagen schnell von „Gollum“ abwenden.
Auch das Schleichen funktioniert nur begrenzt – vor allem, weil es zu wenige Möglichkeiten gibt. Gollum kann sich im hohen Gras verstecken, Steine zur Ablenkung werfen oder im Notfall auch Gegner unbemerkt strangulieren. Dass man diesen schwachen und heruntergekommenen Charakter nicht zum Superhelden macht, sollte klar sein. Trotzdem hätte man doch gerade die Verschlagenheit Gollums kreativer und besser integrieren können. Die Gegner patrouillieren auf vorgegebenen Bahnen, sodass es eure Aufgabe ist, einen Weg an ihnen vorbeizufinden.
Aktuelle Meldungen zu der Herr der Ringe Gollum:
- Entschuldigung der Entwickler und weiteres Spiel in Arbeit
- Andere Entwickler nehmen Daedalic in Schutz
Die Lösung ist meist offensichtlich und wenig anspruchsvoll. Gleiches kann leider über die übrigen Aufgaben gesagt werden. Das Spiel liefert über weite Strecken langweilige Sammel- und Suchaufgaben vom Fließband. Dadurch geht „Gollum“ in den ersten Stunden schnell die Puste aus. Auch wenn Daedalic die technischen Probleme sicherlich ausbessern kann, „Gollum“ mangelt es auch spielerisch an Substanz und Feinschliff. Ob man diese Schwächen auf lange Sicht noch glatt bügeln wird, bleibt sehr fraglich.
Kommentare
Fatzke
28. Mai 2023 um 05:12 UhrDa fragt man sich schon in welchem Zustand das Spiel im September 2022 gewesen sein muss, als es ursprünglich erscheinen sollte und verschoben wurde.
Cult_Society
28. Mai 2023 um 05:45 UhrDas Spiel ist kein bißchen fertig aber es gibt schon Bezahlinhalte ! Herzlichen willkommen im Jahr 2023 !
Mr.Retrowave
28. Mai 2023 um 08:23 UhrWho the fuck wants to play gollum lol
Joyce
28. Mai 2023 um 09:01 UhrWieso haben die sich nur für Gollum entschieden?
Einen Hobbit hätte ich persönlich auch nicht besser gefunden, weil ich diesem keine schicken Stiefel anziehen könnte und die im Grunde „nur“ Bauern ohne Kampferfahrung sind – es sei denn man hätte da eine eigene Farm mit Gemüseanbau, aber dann war’s kein Herr der Ringe.
Manchmal frage ich mich, ob Entwickler überhaupt noch so denken wie Gamer. Wie konnte man glauben, dass ein Spiel in diesem Zustand mit dieser Hauptfigur für uns interessant sein könnte, bzw. für irgendwen?
StoneyWoney
28. Mai 2023 um 09:51 Uhr@YoungAvenger 2007er Levelgewand? Bisher hatte ich nicht vor, Gollum zu kaufen. Aber du hast mich jetzt gehyped. 2007 war eines der geilsten Spielejahre ever, und ich zocke gerne noch Titel von damals.
Eloy29
28. Mai 2023 um 10:30 UhrPuhbaron so gut wie nichts was du schreibst kommt dem Spiel nahe, das mag sein für viele so schlecht ist in dem Mittelerde seine Locations wunderschön dargestellt sind. Wo sie dort sogar mit der Tolkien Gesellschaft zusammen gearbeitet haben.
Dein Dulles Gebrabbel kannst du dir selbst erzählen. Dein MMOooo ist sicherlich gleich dem Film von Peter Jackson…. hahaha
Roobyoo
28. Mai 2023 um 15:14 UhrEs ist ja wohl offensichtlich, warum sich dieses Spiel nicht nach Herr der Ringe anfühlt: ein so kleines Studio wie Daedelic kann sich einfach keine teurere Lizenz erkaufen. Da reichte es tatsächlich nur für die Nutzung der Namen Gollum, Elben, Mordor und Baradur. Da heißt dann auch Gandalf nicht Gandalf, sondern „Zauberer“. Oder Thranduil „Elbenkönig“.
Der Lizenzgeber hat wahrscheinlich auch nur deshalb sein Okay gegeben. Dem war schon klar, dass das Spiel keine großen Wellen schlagen wird. Und so sollte das Spiel auch bitte betrachtet werden. Das ist kein Spiel mit Anspruch auf AAA. Ich gebe den Kritikern hier aber vor allem in einer Sache recht: das Spiel ist viel zu teuer und sollte eher im Preisgebiet wie ein Bus Simulator unterwegs sein.
GeaR
28. Mai 2023 um 16:28 UhrWas hat man von einem Entwicklerstudio, der hauptsächlich Click and Point Adventures gemacht hat erwartet?
Das ist das erste Zeichen für ein schlechtes Spiel.
Und wenn man ein Spiel 100 Mal verschiebt oder nur CGI Trailer sieht.
Sowas wie FF16 ist etwas was zu 100% funktionieren wird. Nicht nur CGI Trailer, sondern auch viel Gameplay und die haben Leute an Bord genommen, die Erfahrungen in dem Gameplay Bereich haben.
Deswegen bin ich auch schon mit Fable 4 skeptisch. Ein Studio das nur Arcade Rennspiele macht ohne Story und Charakteren.
Auch Cyberpunk ist schlecht geworden. Diese Warnhinweise hat man durch den Hype leider ausgeblendet.
SebbiX
28. Mai 2023 um 17:21 UhrSelbst wenn es eine 7,5 wäre, würde ich nicht als Gollum spielen wollen.
Joyce
28. Mai 2023 um 18:48 UhrIch denke selbst mit Patches wird das Spiel für einen Großteil nicht ansprechender. Alles, aber Gollum wird sicher nicht rausgepatcht.
Schon schade für die aufgebrachte Zeit, aber vielleicht hat das Studio dadurch eine wertvolle Erfahrung gemacht, was sich in Zukunft durch ein „genaueres Gespür“ für Spiele auszeichnet, die wir wollen.
feabhra
28. Mai 2023 um 19:10 UhrHabe ich heute auch gemerkt, dass das Spiel unausgewogen ist.. An einem Rücksetzpunkt wurde man plötzlich immer sofort angegriffen, dass man da nicht weiterkam. Und dann erst Schleichspiel und dann sofort Wechsel in eine stressige Verfolgung auf schwerem Parcour. Kaum machbar. Und plötzlich fand man sich an einem Rücksetzpunkt wieder, der weit, weit davor lag….Habe ausgemacht und lieber das neue Zelda auf der Switch weitergespielt….lach
Hellogamer80
29. Mai 2023 um 23:04 UhrSchade. Die Idee ein Gollum Schleichspiel zu machen fand ich total geil. Vlt gelingt ihnen ja doch noch ein Wunder und es werden neue Mechaniken dazu implementiert. Hellogames ist das ja auch gelungen
akki_jayjo
30. Mai 2023 um 09:15 UhrHabe irgendwie nichts anderes erwartet, als ich das erste Bildmaterial gesehen habe. Spiele können auch ohne super hohe Grafikqualität tolle Spiele werden, das haben schon so viele gezeigt, was da mit Kreativität möglich ist, aber hier wirkt alles einfach nur billig. Gestern eine Streamiring noch zugeschaut, da wurde so Wasser bei einem Rätsel abgelassen, was schlimmer als auf PS1/2 wirkt …
Dann der technische Zustand, das magere Gameplay … Jeder darf machen was er will, aber man sollte doch hin und wieder mal wie hier die Finger von einem Spiel lassen, dass wir Game auch nicht jeden Scheiß kaufen.
Sehr schade, bei dem tollen Universum. Halte auch nicht die Figur Gollum für besonders verkehrt. Eigentlich eine sehr interessante Perspektive, welche gut die beiden Storylines von Der Hobbit und HdR verbinden hätte können, mit gutem Stealthgameplay und dem Durchlaufen toller Orte. Das Ganze in einer schönen knackigen Story über ein paar Stunden und man hätte ein tolles Game gehabt. Hier scheint dann aber einiges echt schlecht gelaufen und gemacht worden zu sein. Komisch wo dann letztens dann immer so die Werbetrommel gerührt wurde, wo die dann die Entwickler über ihre Arbeit so toll erzählt haben. Wie können die so einen Scheiß labern und das als so toll verkaufen, wo die genau wissen, dass die da Bullshit verzapft haben.